Eine Nacht mit Folgen
bestimmt. "Ich denke, es ist besser, wenn wir draußen bleiben."
Sein Gesicht blieb regungslos, aber Serena spürte die Stärke und Entschlossenheit, die unter dieser ruhigen Maske lagen.
Sie wusste, wann sie besiegt war, und ließ sich auf eine schmale Steinbank nieder.
Wer war dieser Mann? Und woher hatte er gewusst, was sie vorhatte? War es für ihn so einfach gewesen, ihren Liebeskummer und ihre Verzweiflung von ihrem Gesicht abzulesen? Oder war er nur eine Einbildung ihres Gehirns, das unter akutem Schlafmangel litt?
Aber nein, er stand in Fleisch und Blut vor ihr. Niemand konnte diesen Mann übersehen, und keine Einbildung könnte so gut duften wie er.
Sie schaute ihn genauer an und bemerkte, wie perfekt sein dunkles Haar geschnitten war und dass er einen
maßgeschneiderten Anzug und teure italienische Schuhe trug.
Dieser Mann strahlte Autorität aus. Serena spürte, dass er es gewohnt war, anderen Leuten Befehle zu erteilen. Er war weltgewandt und ganz bestimmt reich, sehr reich sogar.
Zwiespältige Gefühle stiegen in ihr auf, als ihr klar wurde, dass er ein Mann so ganz nach dem Herzen ihres Vaters und ihrer Stiefmutter wäre.
Er hob eine Augenbraue. "Habe ich Ihre Prüfung bestanden?"
fragte er leicht amüsiert.
"Entschuldigen Sie." Sie wandte rasch den Blick ab und schaute auf ihre Hände, mit denen sie das Taschentuch und ihre Handtasche umklammerte. "Es ist nur, weil ... nun, ich weiß nicht, wer Sie sind. Warum tun Sie das?"
Der Mann steckte die Hände in die Hosentaschen. "Ich habe versucht, Ihnen zu helfen. Morgen hätten Sie bestimmt bereut, vor allen Anwesenden solch eine Szene gemacht zu haben."
Dann legte er eine Pause ein. "Mein Name ist Graham Richards."
Serena sah ihn scharf an. "Der Name der Braut ist Richards."
Er nickte, schien aber offensichtlich nicht erfreut, mit ihr in Verbindung gebracht zu werden. "Ja", gab er zu.
Serena betrachtete sein Gesicht. Er sah nicht aus, als ob er der Bruder oder ein naher Verwandter wäre.
"Ich bin ihr Exmann", erklärte er und beantwortete damit ihre ungestellte Frage.
Sie haben bestimmt großartig zusammengepasst, fand Serena.
Beide waren so gut aussehend, dass es einem den Atem verschlug, und genauso unnahbar. Sie mussten das ideale Paar gewesen sein.
"Und warum haben Sie sich scheiden lassen?" Die Worte waren heraus, bevor sie sie noch zurückhalten konnte.
Sein Gesichtsausdruck gab keine Gefühle preis. "Wir hatten unsere Differenzen."
"Differenzen", wiederholte sie. Nun, die hatte wohl jeder, der sich scheiden ließ. "Eigentlich dachte ich an eine etwas genauere Erklärung."
Er zog die Augenbrauen hoch. "Wir waren emotionell zu verschieden."
Serena fragte sich, wie sie emotionell nicht zusammenpassen konnten, wenn beide gar keine Emotionen zu haben schienen.
Aber immerhin war er Elaine noch so zugetan, dass er sie um jeden Preis vor einer unschönen Szene schützen wollte. Und da er das tat, empfand er vielleicht doch noch mehr für sie, als er zugeben wollte.
"Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Ehe nicht zu schnell aufgegeben haben?" fragte sie. "Vielleicht hätte es ja doch noch eine Chance gegeben, alles wieder in Ordnung zu bringen?"
"Dann wäre Ihr Leben jetzt bedeutend einfacher, nicht wahr?" erwiderte er trocken.
Sie verzog das Gesicht, unfähig zu leugnen, dass dieser Gedanke ihr tatsächlich gekommen war. "Wann haben Sie sich scheiden lassen?"
"Vor fünf Jahren. Wahrscheinlich haben Sie damals noch nicht einmal gewusst, dass Dirk überhaupt existiert."
O doch, das habe ich, dachte Serena. Unglücklicherweise hatte Dirk nicht gewusst, dass sie existierte. Aber sie hatte ihn wahrgenommen, und wie! Sie war damals noch ein blutjunger Teenager und stets ganz aufgeregt gewesen, wenn er von der Universität kam, um seine Eltern zu besuchen.
Sie straffte sich und umklammerte ihre Handtasche noch eine Spur fester. "Ich habe Dirk kennen gelernt, als ich zehn Jahre alt war. Das war vor zwölf Jahren, unsere Eltern sind Nachbarn."
"Ah." Graham Richards betrachtete sie schweigend, und in Serena stieg erneut Verzweiflung auf. Sie kannte Dirk jetzt zwölf Jahre, liebte ihn mindestens acht Jahre davon, und nicht einmal hatte er sie als Frau wahrgenommen.
Vielleicht hätte sie die Modejournale intensiver studieren und lernen sollen, wie man sich vorteilhafter anzog. Vielleicht hätte sie, wie ihre Stiefmutter Cassandra, Diäten zur Religion machen sollen. Vielleicht hätte sie auch tonnenweise sündhaft teures Make-up auftragen und
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