Eine Nacht zum Sterben
Pakistani. Er will zu seinem Sohn nach Bradford.«
»Und die Frau?«
»Mrs. Campbell? Sie ist angloindisch – und zwar je zur Hälfte. Gehört zu den Leuten, die man in den alten Tagen des Empire Chi-chi nannte. Sie hat einen schönen schottischen Namen, aber sie kann genausowenig gegen ihre Hautfarbe tun wie ich. Ihr Mann ist letztes Jahr gestorben, und ihre einzige Verwandte ist eine Schwester, die vor Jahren einen englischen Mediziner geheiratet hat und nun in Harrogate lebt. Mrs. Campbell hat sich um eine Einreiseerlaubnis bemüht, aber keine bekommen.«
»Warum nicht?«
»Weil sie keine Verwandte im Sinne des Einwanderungsgesetzes ist; sie ist indische Staatsbürgerin, und sie hat Tuberkulose. Sie ist in Indien geboren und ihr Leben lang nie in England gewesen, aber sie spricht davon, als sei es ihre Heimat. Komisch, nicht?«
»Finde ich nicht.«
Mrs. Campbell war ungefähr fünfzig Jahre alt; sie hatte dunkle traurige Augen, und auch ihre Hautfarbe war dunkler als bei den meisten Eurasiern. Sie fror und trug einen schäbigen Pelzmantel; um den Kopf hatte sie einen dicken Wollschal gebunden.
Die beiden blieben stehen, und der alte Mann rang nach Luft.
»Ein kalter Tag heute, nicht wahr, Mr. Jones?«
Jones und Chavasse standen auf, und der Neger nickte. »Das ist Mr. Chavasse, ein neuer Passagier. Er wird mit uns reisen.«
Der alte Mann zeigte keine Anzeichen von Überraschung. »Ach ja, Miss Nadeem hat von Ihnen gesprochen.«
»Sie haben sie schon kennengelernt?« sagte Chavasse.
»Bevor wir unsern Spaziergang gemacht haben«, meinte Mrs. Campbell.
Hamid hielt Chavasse eine weiche und spindeldürre Hand hin, sie entschlüpfte Chavasses Griff so leicht, wie das Leben diesem gebrechlichen alten Körper in absehbarer Zeit entschlüpfen würde.
Mrs. Campbell schien ein wenig verlegen und zog den alten Mann am Ärmel. »Kommen Sie jetzt, Mr. Hamid, wir dürfen nicht trödeln. Bald ist Essenszeit. Sehr erfreut, Mr. Chavasse.«
Ihr Englisch war so korrekt, daß es recht eigenartig klang; sie sprach wie ein Mensch aus dem vorigen Jahrhundert.
Chavasse sah ihnen nach, wie sie mühsam über die Dünen kletterten; merkwürdige leblose Geschöpfe, die beiden, ausgesetzt in eine fremde und feindliche Welt. Chavasse spürte ein bitteres Gefühl in sich aufsteigen. Die Menschen machten Gesetze, um sich zu schützen, aber es gab immer welche, die unter diesen Gesetzen litten – immer. Er wandte sich um und sah, daß Jones ihn nachdenklich angeschaut hatte. »Die beiden tun Ihnen leid, Sie haben mehr Mitleid mit ihnen, als man es von einem Gangster aus Sydney annehmen sollte, dem die Polizei auf den Fersen ist.«
Sie schwiegen. Dann sagte Chavasse mit gefühlloser Stimme: »Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden, zum Teufel noch mal.«
»Ich weiß es auch nicht, mein Freund.« Jones grinste; die Peinlichkeit war verflogen. »Wenn wir noch essen wollen, müssen wir jetzt los.«
Sie machten sich auf den Weg, gingen über die Dünen und den Strand hinter der Anlegebrücke. Chavasse zeigte auf die Barkasse, die dort vor Anker lag. »Ist das unsere Fähre?«
Jones nickte. »Paßt irgendwie zu Jacaud, finden Sie nicht auch?«
»Was halten Sie von ihm?«
Jones zuckte die Achseln. »Der würde seine Schwester oder seine Großmutter für eine Flasche Rum verkaufen, wenn’s ihm in den Sinn kommt. Im Moment ist er bei zwei Flaschen täglich, manchmal sind es auch mehr.«
»Und der Mann, der für ihn arbeitet – Mercier?«
»Hat Angst vor sich selber. Lebt in einem kleinen Häuschen am ändern Ende des Dorfs. Allein mit seiner Frau. Sie ist krank und bettlägerig. Er ist wie ein schwankendes Rohr im Winde. Wenn Jacaud knurrt, springt er.«
»Und Rossiter?«
Jones lächelte. »Sie fragen die Leute gern aus, was?«
Chavasse hob die Schultern. »Denken Sie, was Sie wollen.«
»Na gut. Tue ich auch. Wissen Sie, was ein Zombie ist?«
Chavasse runzelte die Stirn. »Hat doch irgendwas mit Hexerei zu tun, nicht?«
»Genauer gesagt ist es die Leiche eines Mannes, die man aus dem Grab geholt hat, bevor die Verwesung eingesetzt hat.«
»Und der dann weiterlebt, meinen Sie das?«
»Jedenfalls lebt er nachts und führt die Befehle seines Herrn aus – eine seelenlose grundböse Kreatur.«
»Und das ist Rossiter.«
»Das ist Rossiter.« Der Neger lachte laut auf. »Das komische an der Sache ist nur, daß er früher mal Priester gewesen ist – Jesuitenpater.«
»Und wie haben Sie das herausgefunden?«
»Neulich
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