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Eine Nacht zum Sterben

Eine Nacht zum Sterben

Titel: Eine Nacht zum Sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Higgins
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nicht, dafür war es noch zu früh, und das Gras vom letzten Jahr überwucherte die schmalen Wege. Es hätte dringend geschnitten werden müssen.
    Famia machte einen kleinen Spaziergang mit Rossiter; in ihrem scharlachroten Sari wirkte sie vor dem graugrünen Hintergrund wie eine Figur von Breughel. Sie lachte, und ihr Lachen war bis in das Zimmer von Chavasse und Jones zu hören, die hinter dem Fenster saßen und die beiden durch den Vorhang beobachteten.
    »Das erstemal, daß ich ihn habe lächeln sehen«, meinte Jones.
    »Sie muß irgendwas in ihm berührt haben«, sagte Chavasse, »ich weiß nur nicht, was.«
    Rossiter sagte etwas zu dem Mädchen und ging weg. Sie spazierte allein weiter und blieb vor einem Baum stehen und betrachtete eine Amsel, die in den Zweigen saß.
    Plötzlich war Jacaud hinter ihr.
    Er war offenbar betrunken und schwankte leicht; er ging auf sie zu und stierte sie mit aufgerissenen Augen an. Sie bemerkte ihn nicht, weil sie immer noch mit der Amsel beschäftigt war; da streckte er den Arm nach ihr aus und berührte sie an der Schulter. Sie schrak zurück, aber er hatte sie am Arm gepackt, zog sie an sich und drückte ihr einen Kuß auf die Lippen. Vielleicht hatte er gar nicht mehr gewollt, denn als sie aufschrie und sich von ihm losmachte, fing er an zu lachen.
    Jones war um eine Nasenlänge vor Chavasse an der Tür. Sie liefen die Treppe hinunter, über den Flur und durch die Küche nach draußen. Aber sie kamen zu spät. Rossiter stand auf halbem Wege zwischen ihnen und Jacaud; einen Arm hatte er um das Mädchen gelegt. Er schob sie sanft zur Seite, und aus der Tasche zog er die elfenbeinerne Madonna.
    Jacaud machte nicht einmal den Versuch zu flüchten. Er fiel auf die Knie, und in seinem großen Gesicht arbeitete es, als Rossiter langsam auf ihn zuging. Er packte den Bretonen an den Haaren und drückte seinen Kopf nach hinten. Es klickte, und die Stahlklinge schnellte aus der Madonna. Rossiter hielt die Spitze der rasiermesserscharfen Klinge an Jacauds Stirn und zog einen Strich. Das Blut lief Jacaud in die Augen. Er fiel ohne einen Laut zu Boden, und Rossiter wischte die Klinge ab. Famia stand da und sah ihn an; sie hatte einen verträumten Blick. Er ging zu dem Mädchen, legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie an Chavasse und Jones vorbei, ohne die beiden eines Blickes zu würdigen.
    Chavasse drehte Jacaud um und kniete neben ihm nieder. Mit seinem Taschentuch wischte er das Blut aus dem häßlichen ungeschlachten Gesicht.
    »Wie geht’s ihm?« fragte Jones.
    »Er ist ohnmächtig – der Schock war wohl zuviel für ihn. Rossiter hat gewußt, was er tat. Er hat ihn böse gezeichnet – aber mehr auch nicht. Ein Heftpflaster reicht vollkommen aus.«
    »Haben Sie sein Gesicht gesehen?«
    »Rossiters Gesicht?« Chavasse nickte. »Hat mich an etwas erinnert, was Faustus sagt in dem Stück von Marlowe.«
    » Denn dies ist die Hölle, und darin lebe ich ?« sagte der Neger.
    »Ich staune.« Chavasse grinste. »Das Schulsystem auf Jamaika scheint nicht das schlechteste zu sein – immerhin wird den Leuten wohl das Lesen beigebracht.«
    »Und das Schreiben, mein Freund. Das Schreiben auch. Das ist ein Geschäft mit Zukunft.«
    Jones packte Jacaud unter den Armen und stellte ihn aufrecht. Sie brachten ihn ins Haus.
     
    Am Spätnachmittag setzte ein wolkenbruchartiger Regen ein; alle Himmel schienen sich geöffnet zu haben; alles war grau. Die alte Köchin kam aus ihrer Küche, zündete im Schankraum eine Öllampe an und zog sich wieder zurück, ohne ein Wort zu sagen. Mrs. Campbell und Hamid saßen ganz dicht am Feuer und plauderten leise mit Famia. Jones las in einem Buch, und Chavasse hatte es sich mit einer Ausgabe von Le Monde von der letzten Woche bequem gemacht.
    Er legte sie zur Seite und ging zur Tür. Rossiter und Jacaud saßen an einem Tisch und sprachen mit gedämpfter Stimme; zwischen ihnen stand eine Flasche Kognak.
    Sonst war niemand zu sehen außer Mercier, der hinter der Theke stand und Gläser polierte. Die Gelegenheit war günstig; Chavasse wandte sich um, spazierte durch das Zimmer und ging in den Flur. Er nahm zwei Stufen auf einmal, lief auf Zehenspitzen durch den oberen Korridor und blieb vor Rossiters Tür stehen. Das Schloß war ein Kinderspiel; eine alte Konstruktion, die schon beim ersten Versuch vor dem Dietrich kapitulierte. Chavasse ging hinein.
    Das Zimmer sah fast genauso aus wie sein eigenes, es war klein und kahl, hatte ein einzelnes Bett und eine

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