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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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Räume, wo die errötende Kammerzofe neben einer kalt werdenden Kanne Schokolade wartete. Nein, sagte er dem Mädchen, er benötige keine Hilfe mit dem Tablett.
    Ihr gedämpftes Kichern folgte ihm bis in seine Räume.
    Der Duft aus der Tasse, die er ihr kurz unter die Nase hielt, erweckte sie zu mürrischem, zerzaustem Leben. Als sich die Finger, mit denen sie ihr Gesicht abschirmte, etwas spreizten, sah er Wimpern, die sich hoben, herabfielen und sich wieder hoben. Mit einem hörbaren Schnuppern drückte sie sich auf dem Ellbogen hoch. »Schokolade«, sagte sie heiser und griff nach der Tasse.
    Er lehnte sich lächelnd zurück, als sie sich eine Handvoll nerzbraunes Haar aus dem Gesicht schob. Beim ersten Schluck schloss sie wieder die Augen, und ihr Gesichtsausdruck ließ seinen Körper reagieren. Dreimal hatten sie einander letzte Nacht genossen, aber ein neuer Tag brachte neue Gelegenheiten. Und schließlich waren sie bereits im Bett.
    »Ich glaube fast, du hast Schokolade lieber als mich«, sagte er neckend.
    Sie ließ die Tasse sinken und sah ihm in die Augen. »Nein.« Sie räusperte sich. »Tue ich nicht.«
    Die Farbe, die ihr jetzt in die Wangen stieg, fesselte ihn. »Du wirst rot?« Sie war letzte Nacht so wunderbar unbefangen gewesen.
    »Nicht aus Scham«, sagte sie leise.
    »Nein«, stimmte er zu, genauso leise. »Das wäre wirklich dumm.«
    Sie sahen sich immer noch an, es war irgendwie magnetisch: behaglich und doch alles verzehrend. Er spürte nicht das Bedürfnis, wegzusehen, und sie senkte ihre Augen nicht. Vielleicht fühlte sich Besessenheit so an. Ja, dachte er: Er war komplett besessen von der Frau, die er geheiratet hatte. Und es wurde immer heftiger.
    Sollte ihn das nervös machen? In der Vergangenheit war das so gewesen. Er wusste nicht mehr, warum. Dieses Erröten, so wunderschön … In jedem Augenblick, in dem er sie ansah, schien sie ihm etwas Neues zu bieten. »Trink«, sagte er.
    Sie hob eine Augenbraue und folgte seiner Aufforderung dann mit Begeisterung. Früher einmal hatte sie geschlürft. Nicht mehr. Der Dreck war weg, ihr Akzent wurde schwächer, sie fiel nicht mehr über das Essen her, als hätte sie Angst, jemand könnte es ihr wegnehmen. Oft ertappte er sich selbst dabei, dass er ihre Wurzeln vollkommen vergaß.
    Das heißt – er hatte eigentlich nicht vergessen, woher sie kam. Aber in letzter Zeit hatte er aus Gründen über sie gestaunt, die nichts mit ihrer Herkunft zu tun hatten. Er bewunderte nicht den scharfen Verstand eines Fabrikmädchens oder dass ein Fabrikmädchen raffinierte literarische Methoden erfassen konnte. Er bewunderte einfach sie: eine Frau von ungewöhnlicher Klugheit, die keine Angst vor Meinungsverschiedenheiten hatte, ihm aber auch großzügig entgegenkam, wenn er ein vernünftiges Argument vorbrachte. Eine intelligente, kluge, angenehme Gesellschaft.
    Eine köstliche Gesellschaft. Sie gähnte, zeigte ihre kleine rosa Zunge und hielt sich dann die Hand vor den Mund, wie ein Kätzchen, das man einfach berühren muss. Er schnappte sich eine Locke von ihrem Haar und rieb die seidigen Strähnen. Wie sittsam sie aussah, wie klein in seinem Bett. Was für eine trügerische Zerbrechlichkeit. Wenn sie eine Anwandlung bekam, konnte sie jemanden genauso heftig zusammenstauchen wie ihr Vater.
    Das gab ihm zu denken. Vielleicht war es kein Zufall, dass die erste Frau, die seit Jahren sein wirkliches Interesse weckte, auch die erste war, die ihn so hart kritisierte. Er war nicht der Typ, der den Kopf in den Sand steckte. Er erkannte deutlich, dass seine Gefühle für Nell vielleicht das Echo seines alten Kampfs gegen Windmühlen war. Wenn sie ihn missbilligte, hatte sie mehr als nur flüchtige Ähnlichkeit mit Rushden – dem er alles hatte recht machen wollen, bis ihm endlich klar geworden war, dass das nur auf Kosten seiner eigenen Seele ging.
    Er strich ihr das Haar hinters Ohr, und sie sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Paradox, dass ihre Missbilligung eine ganz andere Wirkung auf ihn hatte. Es weckte in ihm den frustrierenden, gierigen und nervtötend intensiven Wunsch, ihr zu gefallen. Und er wollte den Schlüssel zu ihrem Vertrauen finden – und wenn das nicht funktionierte, den Punkt, auf den er mit dem Hammer schlagen musste, um sie aufzubrechen.
    »Was ist?«, fragte sie. Er hatte sie zu aufmerksam angestarrt. »Habe ich irgendwo Schokolade?« Sie rieb sich die Mundwinkel und sah verlegen und äußerst feminin aus.
    »Nein«, sagte er. »Keine Schokolade.

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