Eine naechtliche Begegnung
Niemand würde sich auf so ein merkwürdiges, indirektes Duell einlassen. »Ich denke, man braucht nur eine Meinung, die richtige, mehr nicht«, sagte sie.
»Wenn Sie uns entschuldigen«, sagte Simon, aber Nell widerstand dem Druck, den er auf ihren Arm ausübte, denn die Viscountess öffnete jetzt den Mund, um zu sprechen, und man drehte einer Schlange nicht den Rücken zu.
»Dann muss ich unbedingt um Ihre Meinung bitten«, sagte die Viscountess zu ihr. »Bei meinem letzten Gespräch mit Lord Rushden hatten wir eine sehr leidenschaftliche Diskussion über Andreassons Klangfarbeneffekte. Ich persönlich glaube, dass Bachs Fugen das sehr gut zulassen, aber vielleicht sind Sie anderer Ansicht.« Ihr Ton war freundlich, aber ihr Blick stach wie Nägel, unnachgiebig und hart, als könnte sie geradewegs die Wahrheit sehen und wüsste, dass Nell nicht die geringste Ahnung von diesen Dingen hatte. »So eine heiße Debatte! Darf ich erfahren, wo Sie stehen?«
»Ich bezweifle, dass sie überhaupt einen Gedanken daran verschwendet hat«, sagte Simon. »Ich gestehe, dass ich nach unserem Gespräch selbst kaum darüber nachgedacht habe. Weder ich noch meine Frau schenken so flüchtigen Erscheinungen des Salonstils viel Beachtung.«
Was immer Simon damit meinte, es hatte die Wirkung einer Ohrfeige, denn die Frau wurde rot und trat einen Schritt zurück. »Ja, ich verstehe Ihr Argument. Meine Güte, ist das nicht Marconi dort hinten? Wenn Sie mich entschuldigen …«
»Oh, wir wollen Sie auf keinen Fall aufhalten«, murmelte Simon.
Die Viscountess machte auf dem Absatz kehrt und stolzierte davon. Nell beobachtete ihren Rückzug. Ihr war schlecht. »Was ist ein Salonstil?«
»Ein Begriff aus der Musik«, sagte Simon. »Nichts weiter.«
Nein, das war es nicht. Ihr Mann hätte auch eine fremde Sprache mit dieser Frau sprechen können – trautes, heimliches Gerede, das Nell niemals verstehen würde. Wie Erwachsene vor einem Kind, dachte sie, die Wörter buchstabierten, damit die Kleinen nichts verstanden.
»Bist du so etwas wie ein Musikexperte?«, fragte sie. Wie wichtig war diese Sache für ihn?
Er zuckte mit den Achseln. »In Kreisen, die nicht viel davon verstehen, hält man mich für einen verlässlichen Kritiker.«
»Aber du schreibst Musik. Du spielst jeden Tag Klavier.« Das deutete wohl kaum darauf hin, dass es nur ein nebensächliches Hobby war.
»Ja.« Eine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen. »Beunruhigt dich das?«
Sie schüttelte den Kopf und schaute blind in den Raum. Sie entdeckte Lady Swanby glatt und selbstzufrieden in innigem Gespräch mit einer Lady in Saphirblau. Ihre blassblauen Augen blitzten im Licht auf, als sie Nell einen kurzen Blick sandte, ohne dass ihr Lächeln ins Wanken geriet.
Und wenn Simon sich irgendwann nach jemandem sehnte, mit dem er über Dinge wie
Klangfarben
sprechen könnte?
»Nell«, sagte er sanft, beharrlich, bis sie ihn schließlich ansehen musste. »Es gibt absolut keinen Grund, wegen irgendeiner der Frauen hier beunruhigt zu sein.«
Ihre Kehle wurde eng. Natürlich, jetzt fühlte er so, aber in drei Monaten, oder sechs, wenn diese Anziehung zwischen ihnen schwächer würde, könnte ihre Unwissenheit ihn stören.
Ein zur Glatze neigender, rundlicher Baron torkelte mit drei Gläsern Champagner auf sie zu. »Ein Hoch«, gluckste er. »Ein Hoch auf Rushdens neueste Entdeckung! Hast du es wieder geschafft, Rush! Hätte ich mir denken können. wenn einer sie finden würde, dann du!«
Nell nahm das Glas mit einem angestrengten Lächeln, der Inhalt schwappte, als die Leute sie umringten und in die Beifallsrufe einfielen. Simon hob seine Champagnerflöte und machte einen Witz, der alle zum Lachen brachte.
Ein sonderbares Frösteln überlief sie. Simon war ein Mann auf einer Party, die ohne ihn begonnen hatte, sich aber jetzt nur um ihn drehte – Nell war vielleicht nur ein Vorwand für die natürliche Ordnung der Dinge: Leute drängten sich um ihren Mann, um sich in seiner Gunst zu sonnen.
Sie sah in ihr Glas, auf die Blasen, die aufstiegen und zerplatzten. Er hatte behauptet, dass sein Ruf zu schlecht war, um eine konventionellere Braut zu gewinnen, dass kein Vater ihn akzeptieren würde, dass die Leute schlecht über ihn redeten. Sie glaubte nicht einmal, dass er sie angelogen hatte, aber offensichtlich belog er sich selbst.
Sie fragte sich, weshalb er seine Aussichten so düster eingeschätzt hatte.
Sie fragte sich, ob diese düsteren Aussichten erklärten,
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