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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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hieß – gaffte sie aus der Ecke an, wo er mit Simon knapp ein paar Worte wechselte.
    Plötzlich machte Lady Katherine eine abrupte Kehrtwendung. Sie hielt die Hände vor der Taille verschränkt, der Blässe ihrer Finger nach zu urteilen ein wütender, fester Griff. »Wer sind Sie«, brach es aus ihr heraus.
    »Katherine«, kam eine leise, schmierige Ermahnung aus der Ecke. Sir Grimston trat vor. »Vielleicht sollten wir gehen.«
    »Nein.« Katherine kam auf Nell zu. Sie war elegant gekleidet, mit Diamanthalskette, das Haar hoch aufgetürmt, das Gesicht blass, in den Augen ein Hauch von Wildheit. »Sie können nicht … Ich kann nicht …« Zitternd hob sie die Hand, wie um Nells Wange zu berühren, zog sie aber in letzter Sekunde wieder weg wie vor einer Flamme. »Sie sind …«
    »Ja«, brachte Nell heraus. »Ich denke schon.«
    »Es reicht«, sagte Grimston. »Das ist ein sehr kluger Betrug, Kitty, aber du darfst dich nicht …«
    »Ein Betrug«, flüsterte Katherine und starrte sie an. »Sie tragen das Armband meiner Mutter. Ihre Halskette. Sind Sie eine Betrügerin?«
    Nell atmete ein und betrachtete die Smaragde um ihr Handgelenk, die makellosen, bis zum Ellbogen reichenden Handschuhe, unter denen ihre Hände, die Sommersprossen, die rauen Schwielen auf den Handflächen verborgen waren. »Nein«, sagte sie sanft. Sie sah auf. »Ich denke nicht.«
    Katherine öffnete den Mund. Schüttelte den Kopf, als würden keine Worte herauskommen.
    Nell wusste, wie Katherine sich fühlte. Sie spürte, wie Mitgefühl ihren Herzschlag beschleunigte und sie vorwärtsdrängte. Unsicher hob sie die eigene Hand und ergriff Katherines.
    Sie starrten einander an. Es … es war einfach unmöglich, dass sie sich so ähnlich sahen. Dieses hinreißende Geschöpf, das so lässig in den Salon getreten war und nun mit einem Vermögen in Diamanten behängt vor ihr stand, dessen Gesicht in Bethnal Green auf ihre Lumpen herabgesehen hatte, sollte mit ihr verwandt sein?
    Blutsverwandt. Ihr
Zwilling
.
    Katherine blinzelte, Tränen glänzten in ihren Augen. »Wo warst du all die Jahre? Warum bist du nicht zu mir zurückgekommen?«
    »Ich wusste es nicht. Ich habe mich nicht erinnert. Ich konnte nicht.«
    »Oh!« Ein weicher, zittriger Ton. Katherine drückte jetzt Nells Hand, packte sie fest. »War sie sehr grausam zu dir?«
    »Nein«, sagte Nell sanft. »Sie war … Ich hielt sie für meine Mutter.«
    Katherine ließ sie los und wich einen Schritt zurück. »Dieses Monster! Deine Mutter!«
    »Ich wusste es nicht«, sagte Nell. »Wie hätte ich es wissen sollen?«
    »Aber du musstest es doch fühlen!« Katherines Stimme wurde flehentlich. »Hast du mich nicht vermisst? Hast du keine Sehnsucht nach deiner Schwester gehabt? Keine Nacht verging, in der ich mich nicht nach dir gesehnt, für dich gebetet habe.«
    Nell schüttelte stumm und elend den Kopf. »Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Ich habe es einfach nicht …«
Gewusst
.
    Wie hatte sie es nicht wissen können? Als sie jetzt dieses Mädchen vor sich sah, kam ihr das eigene Unwissen merkwürdig vor. Verabscheuungswürdig. Hätte sie nicht wissen müssen, dass eine Hälfte von ihr fehlte?
    »Aber wo warst du?« Katherine atmete schluchzend ein. »Vater hat dich überall gesucht – hat sie dich ins Ausland gebracht?«
    »Nein, ich war hier in London. So nah. Nur in Bethnal Green.«
    »Bethnal Green …« Katherine zog die Stirn in Falten. »Aber das ist im East End? Mein Gott«, keuchte sie. »Und du … du hast in diesem Dreck gelebt? Wie hast du das …« Sie musterte Nell von oben bis unten, als würde sie an Nells Körper nach Beweisen für diese Geschichte suchen. »Wie hast du das überlebt?«
    »Ich habe gearbeitet«, sagte Nell – und begriff zu spät, dass die Frage nur rhetorisch gemeint war: der Schock, das Entsetzen im Gesicht ihrer Schwester verrieten es. »Anständig«, stammelte sie. »Schickliche Arbeit, in Fabriken.« Es schien nicht zu ihrer Schwester vorzudringen, denn Katherine starrte sie mit offenem Mund an. »Nichts Schändliches«, sagte sie. »Zuerst habe ich Schachteln gemacht, dann Zigarren gerollt.«
    »Zigarren!« Das Mädchen lachte: ein schriller, hysterischer Klang. Zitternd brachte sie die Hände vor den Mund. »Oh mein Gott.« Sie drehte sich zu Grimston um. »Ein Fabrikmädchen?«
    »Lächerlich«, sagte der rundheraus.
    »Können Sie sich vorstellen, was die Leute sagen werden?« Katherine drehte sich wieder zu Nell um.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte

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