Eine naechtliche Begegnung
sah dann Nell an. »Oh«, sagte er und schluckte geräuschvoll. »Wirklich … ja wirklich. Lady Rushden?«
»Lady Rushden«, sagte Simon gelassen. »Mylady, das ist Lord Reginald Harcourt, ein alter Freund.«
Nell streckte mutig die Hand vor, aber der Rotschopf war ihr zuvorgekommen und hatte sich schon verbeugt. »Wahnsinnig froh, sie kennenzulernen«, sagte er, als er wieder oben war. Mit dem Grinsen auf seinem Gesicht erinnerte er sie an einen Springteufel. Sie kannte diesen Typ. Unternehmungslustig, fröhlich: Er würde sich in einem Pub wohl fühlen, an der Bar mit den Jungs Seemannslieder singen und sich nach dem fünften oder sechsten Glas vielleicht sogar prügeln. »Du willst den Laden ein bisschen durcheinanderbringen, nehme ich an?« Mit Blick auf Lady Allenton zog er eine Augenbraue hoch. »Das erste Opfer?«
»Mir geht es sehr gut«, murmelte Lady Allenton.
»Daran zweifle ich nicht«, stimmte der Mann zu. »Das wird der Abend des Jahres, oder? Der Titel ist nicht so einfach zu erlangen, sobald Juni in Sicht kommt, aber anscheinend hat Rushden das für Sie klargemacht.«
Diese Worte schienen Lady Allenton aufzuscheuchen. Sie blickte um sich, als wäre sie gerade wach geworden. Als sie sich wieder Nell zuwandte, wurden ihre Augen schmal, aber plötzlich erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht, ein perfekter Ausdruck von Freude.
»Was für eine Ehre«, sagte sie. »Was für eine Ehre, dass Sie meine kleine Party ausgewählt haben, um dieses … dieses Wunder zu verkünden!« Ihr zwitscherndes Lachen gewann an Stabilität und lag knapp vor robustem, beständigem Entzücken. »Oh, Lady Rushden, Sie müssen mir erlauben, Sie vorzustellen.«
Und so ging Nell von ihrer Gastgeberin geführt von Grüppchen zu Grüppchen. Die ersten Gäste, denen sie vorgestellt wurde, begrüßten Nell verwirrt und dann schockiert, genau wie Lady Allenton. Aber während sie voranschritten und immer wieder erstaunte Ausrufe ertönten, begriff es langsam der ganze Raum. Die vornehme Atmosphäre wurde von einem schrillen, immer hektischer werdenden Schwatzen abgelöst, das den Klang der Violine übertönte. Nur zwei Worte konnte man immer wieder aus dem Stimmengewirr heraushören:
Cornelia Aubyn
. Zu ihrer eigenen Überraschung war Nell entspannt. Sie amüsierte sich sogar. Mrs Hemple hatte diesen Abend als einen Test betrachtet, aber Simon hatte richtiger gelegen: Es war weniger ein Test als ein Spektakel, und ihre Rolle dabei war ziemlich einfach. Jede neue Person, der sie ihre Hand entgegenstreckte, machte einen oberflächlichen Knicks und trat dann zurück, um sie mit aufgerissenen Augen anzugaffen. Simon erledigte den Rest: Er führte die verblüfften Gäste durch ihre Zweifel bis hin zur Begeisterung, wehrte gewandt die tiefer gehenden Fragen zu ihrem bisherigen Aufenthaltsort ab, lachte häufig und reichlich, bis seine Gesprächspartner ebenfalls lachten. Und er klärte die Situation, wenn jemand ihr eine Frage stellte, die sie absolut nicht beantworten konnte: »Nein, sie ist nicht sehr jagdbegeistert, aber was für eine wundervolle Einladung, und ja, ich arbeite daran, sie umzustimmen.«
»Ich glaube, das Kleid ist von Worth, aber Madame Poitiers hat es geändert, Sie wissen ja, dass sie ein Talent dafür hat, die harten französischen Ecken abzumildern.«
»Oh nein, wir haben gerade letzte Nacht darüber gesprochen, sie hat bisher keinen Favoriten, aber ich wette, dass Hunsdowns Fohlen das Rennen macht.«
Unsinn, kluger Unsinn, hübsch in Simons leise, sanfte Stimme verpackt. Er war ein verdammtes Genie mit diesen Leuten, cleverer als ein Trickbetrüger, beliebter als Whisky in einem Raum voller Iren. Die Leute waren vernarrt in seine Bemerkungen. Sie hofierten ihn, und er belohnte sie dafür, teilte allen, die davon wollten, freigebig seinen Charme aus. Mit der freien Hand flirtete er, berührte flüchtig die Handgelenke der Damen und schlug den Herren männlich auf die Schultern. Er strahlte Anerkennung, Belustigung, Zugehörigkeit aus, und die Leute scharten sich um ihn wie Sterne um den Mond. Unter seinem Einfluss verwandelte sich die brennende Neugier auf ihre Person in simple Herzlichkeit. Die Leute betrachteten sie ein zweites Mal und erblickten nicht mehr die groteske Überraschung, sondern eine herrliche Entdeckung, Rushdens Entdeckung.
Als jemand ihr ein Glas Champagner in die Hand drückte, prostete Nell ihm schweigend zu, gratulierte ihm zu seiner Klugheit. Mit lachenden Augen blickte er sie an, und
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