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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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unter dem Vorwand, ihr etwas ins Ohr zu sagen, streifte er mit den Lippen ihre Schläfen. »Weiter so«, sagte er. »Du machst es wunderbar.«
    Sie errötete über das Kompliment, auch wenn sie es kaum verdiente. Aber bei diesem Affenspektakel merkte niemand, ob ihre Vokale auf gewissen Silben gelegentlich kippten oder dass sie sich einmal vertat und einen Marquis »Ihre Lordschaft« nannte, wie eine Dienstbotin. Aber welch süße Ironie! Ihre Lehrer wären entsetzt gewesen, hätten sie gesehen, wie die reich gekleidete Gesellschaft sie stotternd anglotzte. Als Lady Dingsbums etwas von der wundervollen Berichtigung schrecklicher Ungerechtigkeiten brabbelte, nickte Nell, tätschelte der Frau die Hand und dachte:
Achten Sie auf Ihre Es, Schätzchen, und kommen Sie einer jungen Dame nicht so nah, wenn Sie mit ihr reden. Ist gar nicht vornehm
.
    Als diese Lady schließlich ging, nahm eine andere ihren Platz ein: eine Frau in einem scharlachroten Kleid, deren blasses, herzförmiges Gesicht zwischen den anderen untergegangen wäre, hätte Simon nicht kurz gezögert, bevor er sie begrüßt hatte.
    Die Viscountess Swanby war groß und hatte dramatische Kurven. Sie nahm die Neuigkeit von Nells Auferstehung mit ungewöhnlicher Gelassenheit auf, nickte, als sie vorgestellt wurden, und fragte dann sofort, ob Simon ihre Einladung zur Vorstellung eines ungarischen Pianisten bekommen hätte.
    »Ich danke Ihnen, das habe ich«, sagte er.
    Mrs Hemple zufolge sprach man in der Öffentlichkeit nicht über Einladungen, damit die übrigen Anwesenden nicht erfuhren, dass sie vielleicht nicht auf der Gästeliste standen. Die Blonde schien ihren Fauxpas nicht zu bemerken. »Sie dürfen das nicht verpassen«, sagte sie. »Ich glaube, sein
piano
ist eines anderen
pianissimo

    Hatte dieser Ungar jemandem das
Piano
geklaut? War
Pianissimo
eine vornehme Klaviermarke? Unsicher blickte Nell zu Simon auf, der nickte. »Sicher, sein Verständnis des Kontrapunkts ist unübertroffen«, sagte er.
    Kontrapunkt. Das Wort klang eigentlich ziemlich einfach, Nell hatte jedoch keine Ahnung, was es bedeutete.
    Die Viscountess hingegen schien eine sehr genaue Vorstellung davon zu haben. »Oh ja«, schwärmte sie. »Ich habe seit Langem wieder gestaunt über die Verbindung zwischen Musiker und Instrument. Ja …« Ihre Stimme senkte sich. »Niemals hat jemand die Tasten so geschickt und sanft berührt.«
    Berührt
. In der säuselnden Stimme der Viscountess klang das Wort anzüglich. Nell warf Simon einen scharfen Blick zu und sah, dass er nicht mehr lächelte. Zum ersten Mal an diesem Abend gab er sich keine Mühe, amüsiert auszusehen. »Wirklich?«, fragte er.
    »Nun, bisher habe ich es natürlich nur einmal erlebt«, gab die Viscountess zurück. Erschrocken bemerkte Nell, dass die Lady unmerklich an Simon heranrückte. »Aber ich habe es nicht vergessen können.« Ihr eisblauer Blick wanderte an Simons Körper hinunter und landete auf der Höhe … seiner Hände. »Seither habe ich sehnlichst gehofft, ihn noch einmal spielen zu sehen.«
    Die böse Erkenntnis traf Nell eiskalt in der Magengrube. Sie hätten dieses Gespräch auch auf Chinesisch führen können, diesen Unterton hätte sie trotzdem verstanden. »Ich könnte mir vorstellen, dass es schwieriger wird, als Sie erwarten«, sagte Nell ausdruckslos. Sie konnte auch eine Botschaft senden. Immerhin hatte sie verstanden, was hier mit
spielen
gemeint war. »Noch eine Vorstellung zu organisieren, meine ich.«
    Simons Arm spannte sich deutlich an.
Nein
, dachte sie finster,
ich bin nicht blöd
.
    Die Viscountess bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. »Hat Lady Rushden denn wahres Interesse an den Künsten?«
    »Sie hat einen bemerkenswerten Instinkt dafür«, sagte Simon mit undurchdringlicher Stimme. »Ich würde ihr in allen diesbezüglichen Fragen unbedingt vertrauen.«
    Angesichts dieser blutleeren Worte zweifelte Nell eine Sekunde lang an ihrem Verdacht. Aber dann hob die Viscountess die Augenbrauen und verzog die Lippen zu einem höhnischen, überlegenen Lächeln, bevor sie direkt zu Nell sagte: »Wie wundervoll! In der Kunst muss man sich aber doch eine große Vielfalt verschiedener Meinungen wünschen, um die Diskussion etwas anzuheizen. Meinen Sie nicht?«
    Der Hohn in ihrer Stimme zerstreute jeden Zweifel. Diese Frau sah in Nell eine Rivalin.
    Nell holte stockend Luft. In Bethnal Green würde eine Frau an diesem Punkt ihre Fäuste einsetzen. Ein weiser Ehemann würde sich zurückziehen.

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