Eine naechtliche Begegnung
eigentlich für eine wütende Frau gehörte. Sie war für den Dienst ausgebildet und schloss die Tür ganz sanft.
Das leise Klicken hatte etwas Bedrohliches, aber es kümmerte Nell nicht. Ihr war schnurzpiepegal, was ein kriecherisches Hausmädchen zu sagen hatte.
Das Wasser lief noch. Sie schaffte es, den Hahn gleich beim ersten Versuch zuzudrehen, und fühlte sich gleich besser. Ganz bestimmt brauchte sie kein Hausmädchen für solche Verrichtungen.
Prüfend hielt sie die Hand ins Wasser, das wärmer war als eine Sommernacht. Zwiegespalten blickte sie von der Badewanne zur Tür und wieder zurück. Es wäre Verschwendung, das Wasser nicht zu benutzen, nur aus Angst, dass St. Maur auftauchen könnte. Und es wäre feige.
Mit klopfendem Herzen entledigte sie sich ihrer Kleider und stieg ins Wasser.
Jesus, Maria und Josef. Die Wärme ging ihr durch Mark und Bein. Als sie sich hinsetzte, spürte sie, wie sich Muskeln entspannten, von deren Existenz sie bisher nicht einmal etwas geahnt hatte. Die Wanne war lang genug, dass sie die Beine ausstrecken und sich zurücklehnen konnte. Fast war sie sogar tief genug, um auf dem Wasser zu treiben.
Die Decke war ebenfalls gekachelt. Jedes Quadrat war mit unterschiedlichen Mustern bemalt, dunkelblaue Schnörkel vor lavendelblauem Hintergrund.
Da rechts hatte eine die Farbe des Himmels.
Nell starrte an die Decke, ihr Kopf war so ruhig und zufrieden wie ihr Körper. Was hatte dieses Mädchen ins Wasser geschüttet? Wenn es eine Blume mit diesem Geruch gab, musste sie ihren Namen wissen.
Nachdem sie eine Weile an gar nichts gedacht hatte, setzte sie sich auf und griff nach dem Korb. Die kleinen Flaschen enthielten Flüssigkeiten von unterschiedlicher Farbe, und jede roch besser als die andere – eine nach Mandeln, eine andere nach Erdbeeren, die nächste nach Rosen. Sie kippte sich etwas von dem Zeug mit dem Rosenduft in die Hand, schäumte es auf und verteilte es auf Armen und Brust. An den dunkleren Stellen schrubbte sie ein wenig.
Als sie bei den Rippen angelangt war, holte sie tief Luft. Das Hausmädchen hatte recht gehabt. Seit ihrem letzten Bad war sie magerer geworden. Unterhalb der Rippen sank ihr Bauch ein wie die Wange einer alten Frau. Sie strich sich mit der Hand über die Höhlung, und ihr fuhr ein eigenartiger kleiner Schreck in die Knochen. Das gleiche zittrige Gefühl kannte sie von früher aus der Fabrik, wenn ihr bei der Arbeit an der Schneidemaschine beinahe etwas passiert wäre. Sobald ihr bewusst geworden war, dass sie gerade fast einen Finger verloren hätte, hatte sie noch stundenlang unter Schock gestanden.
»Nun«, sagte sie sanft. Sie musste einfach essen, das war alles. Sie würde alles essen, was man ihr vorsetzte, und vielleicht sogar um mehr bitten. Was auch immer bei St. Maurs Plan herauskam, sie würde bei ihrem Aufenthalt hier ein wenig zunehmen, und allein dafür lohnte es sich schon.
Sie schluckte den Kloß im Hals hinunter.
Das hatte sogar etwas Positives: Sie musste sich keine Gedanken mehr darüber machen, wie sie St. Maurs Avancen abwehren konnte. Garantiert hatte er nur Interesse vorgetäuscht, damit sie sich ein wenig geschmeichelt fühlte. Auf keinen Fall konnte er eine Frau begehren, die selbst das Hausmädchen als Klappergerüst bezeichnete.
Nell glitt tiefer ins Wasser, tauchte mit Gesicht und Haaren unter und rubbelte sich ordentlich den Kopf. Als sie wieder an die Oberfläche kam und tief Luft holte, schnitt sie eine Grimasse. Es lag ein ziemlicher Gestank in der Luft.
Sie drehte sich in der Wanne um, sodass Wasser über die Ränder spritzte, und musste lachen, als sie den Ursprung des unangenehmen Geruches entdeckte. Jetzt, wo sie sauber war, konnte sie endlich ihre Kleider riechen.
So roch sie also normalerweise.
Das Lachen verstummte. Gott im Himmel. Wie wollte St. Maur irgendjemanden davon überzeugen, dass sie in diese Welt gehörte?
Wenn er wirklich glaubte, dass sie jemals für eine Lady durchging, war er dümmer, als er aussah.
Simon wusste, dass die meisten seiner Standesgenossen sich vor Verabredungen mit ihren Verwaltern und Geschäftsleuten fürchteten. Vor dreißig Jahren, als Reichtum noch hauptsächlich auf Landbesitz beruhte, waren diese Treffen wahrscheinlich mit viel Glanz und Gloria abgehalten worden. Aber seit dem Zusammenbruch der Getreidepreise tendierten die Diskussionen über Saaten und Ernten und neue Maschinen eher dazu, deprimierend zu sein. Man musste hart dafür arbeiten, den Kopf über
Weitere Kostenlose Bücher