Eine naechtliche Begegnung
Wasser zu halten, sogar und vielleicht vor allem, wenn man hunderttausend Morgen besaß.
Aus all diesen Gründen freute Simon sich auf diese Gespräche. Selbst die Zerstreuung durch das Fabrikmädchen brachte ihn nicht dazu, die geplante Verabredung abzusagen. Gespräche über Bodenqualität und Niederschlagsmengen befriedigte irgendeinen dunklen, altmodischen Winkel in seiner Seele. Es war herrlich, ganze Teile dieser Welt sein Eigen zu nennen! Selbst die beflissenen Briefe, die die Zuwendungen seines Verwalters an verarmte Pächterfamilien begleiteten, schrieb er gern.
Als er einen solchen nun unterzeichnete, während fünf Männer ihn schweigend dabei beobachteten, dachte er daran, dass auch sein Vorgänger es ausgekostet hatte, Earl zu sein. Die Hauptfreude des alten Rushden hatte aber wohl mehr darin bestanden, ohne Begründung handeln zu können und niemandem Rechenschaft zu schulden. Für sich selbst hatte Simon einen anderen Weg gefunden. Auf seine Beweggründe bildete er sich allerdings nicht viel ein: Er spielte einfach gern den Helden. Um auf die Gelegenheit zu verzichten, eine Familie mit einem Geschenk von fünfzig Pfund zu retten und dadurch ihre unvergängliche Bewunderung zu gewinnen, musste man deutlich bescheidener sein als er.
Als sein Sekretär den Brief in Empfang nahm und ihm einer der Buchhalter über die Schultern sah und den Inhalt des Schreibens erfasste, gab Letzterer einen erstickten Laut von sich. »Mylord – wir waren doch übereingekommen – Ihre Mildtätigkeit ist zwar edel, aber …«
»Ich erinnere mich durchaus«, sagte Simon. Es war verlockend, jetzt schon zu verkünden, dass seine finanziellen Schwierigkeiten bald vorüber wären. Aber er würde sich zurückhalten, bevor er nicht mit seinem Anwalt gesprochen hatte. »Schicken Sie ihn ab. Nur wegen fünfzig Pfund werden wir schon keine roten Zahlen schreiben.«
Nachdem er die Männer hinausbegleitet hatte, begab er sich nach oben. Das Haus war stiller als ein Grab. Die Stille hatte etwas Einschneidendes, Erwartungsvolles, wie wenn man scharf Luft holte, bevor man die entscheidenden Worte sprach. Ein Hausmädchen ging zehn Schritte vor ihm über den Flur, erschrak bei seinem Anblick, machte einen raschen Knicks und verschwand mit gesenktem Kopf im Dienstbotengang.
Unten war es sicher nicht so still. In der Küche würde man ausgiebig über die Identität seines Gastes spekulieren. Seine Haushälterin hatte sich beinahe verschluckt, als er sie angewiesen hatte, Nell in den Räumen der Countess unterzubringen.
Und vor ebendiesen Räumen, die schon so bald zum festen Inventar des Londoner Klatsches gehören würden, war er jetzt unwillkürlich stehen geblieben. Die geschlossene Tür wirkte unverdientermaßen interessant. Ob sie wohl abgeriegelt war?
Ihm gefiel der Gedanke nicht, dass sie vielleicht eine Barriere zwischen ihnen errichtet hatte. Nachdenklich legte er eine Hand auf den Knauf.
Gerade wollte er ausprobieren, ob die Tür verschlossen war, als er im Flur ein Geräusch hörte und sich umwandte. Eines der Hausmädchen, Holly, Molly oder so ähnlich, kam mit einem Tablett näher. Als sie ihn entdeckte, verlangsamten sich ihre Schritte und sie senkte den Kopf, um aufmerksam den Boden zu betrachten.
Bisher hatte er immer geglaubt, dass Ängstlichkeit eine natürliche Folge gesellschaftlicher Distanz war. Und natürlich ging sie Hand in Hand mit Ehrerbietung. Aber jetzt kam ihm in den Sinn, dass er als Hausherr weniger gütig war, als er selbst von sich geglaubt hatte. Seine Dienerschaft huschte um ihn herum wie verschreckte Mäuse, Nell aber hatte nichts Ängstliches an sich.
»Ist das für Lady Cornelia?«, fragte er.
Das Mädchen zuckte zusammen, als hätte er es geschlagen. Oh, er hatte es getan: Er hatte seinen Gast mit seinem richtigen Namen genannt. Morgen Abend oder übermorgen würde das im West End die Runde machen. Eine Lady Cornelia in den Gemächern der Countess of Rushden. Wer war sie? Ohne Anstandsdame? Was konnte das für eine Lady sein? Und Cornelia? Ein merkwürdiger Zufall, oder? Aber das konnte doch nicht … nein, bestimmt nicht.
»Ja, Eure Lordschaft«, antwortete das Hausmädchen. »Mrs Collins sagte – wegen des Auges …«
»Arnika«, riet er. Auf dem Tablett lag ein gefaltetes Tuch und eine Schüssel mit dampfender, klarer Flüssigkeit, wohlriechend und minzig.
»Ich … ja, Eure Lordschaft.«
Simon lächelte. Was für eine großartige Gelegenheit. Ohne zu zögern hob er die Hand und
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