Eine naechtliche Begegnung
kräftigen Muskeln in einem harmonischen Ganzen zusammengehalten, und alles wies ihn als großartigstes Exemplar seiner Spezies aus. Auch Menschen waren Tiere, und nie zuvor war ihr das so sehr bewusst geworden wie jetzt, als Hitze in ihrem Magen aufflackerte.
Keuchend atmete sie aus, und er tat nicht einmal so, als hätte er es überhört. Er hob den heißen Blick, und sie dachte unwillkürlich an schmutzige Worte. An Körper, die sich in der Dunkelheit aneinanderrieben, während sein Tonfall die Botschaft seiner Augen Lügen strafte. Leichthin, fast spielerisch fragte er: »Wäre es denn so schlimm, mich zu heiraten?«
Ihre Wangen brannten. Sie wusste genau, was er meinte.
Heiraten
war ihr kleines Codewort geworden, das für andere Dinge stand. »Ich kenne Sie nicht«, presste sie zwischen den Zähnen hervor. »Vielleicht nicht. Woher soll ich das wissen?«
»Ich bin ein offenes Buch.« Wieder ging er vorwärts, aber diesmal wich sie nicht von der Stelle. Zum Teufel mit seinen feurigen Augen und diesen Provokationen!
Er wusste, dass er gewonnen hatte. Das Lächeln auf seinen Lippen bekam etwas Spitzbübisches. »Und Sie sind wirklich ängstlich«, sagte er. Herausforderung klang in seinen Worten mit, als würde er es ihr beweisen wollen. »Nun, ich verspreche Ihnen, schöne Nell, dass ich nicht die Absicht habe, Sie vor dem Abendessen zu verführen.«
In stiller Pein sah sie zu, wie er die Hand ausstreckte und mit dem Finger über den Saum ihres Dekolletés fuhr. Wenn sie erneut zurückwich, würde ihr Unwille nur allzu deutlich werden.
Alles in Ordnung, beruhigte sie ihr klopfendes Herz. Er will nur die Frau anfassen, die er heiraten möchte, und das war normal.
Aber es war absolut nicht normal, wie seine Berührung durch die Wolle hindurch auf ihrer Haut brannte. Tief in ihrem Inneren war sie sündhaft und lüstern und selbstzerstörerisch wie ein Säufer am Zahltag. Nichts Gutes oder Weises kam dabei heraus, wenn man einen Mann begehrte, der die Macht hatte, einen zu Staub zu zermahlen, auch wenn seine Berührungen auf zartere Handlungen aus zu sein schienen. Sanft fuhr er mit dem Finger über ihr Schlüsselbein bis zur Schulter. Dann umfasste er ihre Schulter und streichelte mit der ganzen Handfläche langsam und fest ihren Arm hinab, spürte ihre Konturen nach, und jede Faser in ihr wollte sich an ihn lehnen.
So eine einfache, dumme Berührung. Warum konnte sie sich nicht davon fernhalten?
Auch ihn ließ es nicht kalt. Sein Puls schlug in der Halsgrube. Als er ihr in die Augen sah, war sein Blick wissend. »Sagen Sie es«, murmelte er. »Sie spüren es.«
Ihre Kehle schnürte sich zusammen. »Ich spüre Ihre Hand.«
Er ließ ein leises
tsst
hören, ein tadelndes Zungenschnalzen. »Wie gefühllos«, sagte er, aber sein Tonfall zeigte ihr, dass ihn das nicht abschreckte. Er mochte die Herausforderung, es lockte ihn. »Ich kann so viel für Sie tun.« Beiläufig plaudernd sprach er mit ihr, während er ihren Körper mutwillig berührte. »Ich bin der Letzte, der Ihnen beibringen kann, eine Lady zu sein, aber ich kann Ihnen anderen Unterricht geben. In Lust, Schönheit, Kunst und Glanz – in all den lohnenswerten Freuden. Unterricht in Skandal.« Sein Lachen war sanft, wie eine Einladung:
Denk an die Möglichkeiten
, sagte es. »Ja, darin kann ich Sie wirklich unterrichten. Und in … Macht?« Er schlang seine Finger in ihre, mit dem Daumen streichelte er ihre Handfläche. »Sie wollen Geld. Das weiß ich. Aber was ist mit Macht, Nell?«
Das Wort sandte ihr einen Schauer über den Rücken.
Macht
: die er jetzt ausübte, indem er sie nur mit Worten und dem leichten Druck seiner verruchten Finger fesselte. Was für eine schreckliche Macht – und was für ein schrecklicher Zusammenhang, in dem sie die Existenz dieser Macht entdecken musste. Ihr wäre lieber gewesen, er hätte Macht in ihren plumperen Formen ausgeübt: rohe Kraft, Muskeln, Gebrüll. Brutale Gewalt, die sie zur Genüge kannte.
Aber nein, etwas so Einfaches würde St. Maur nicht reizen. Macht, die Vorstellung, ja das Wort selbst bekam neue Dimensionen, wenn der Mann es flüsterte, dem dieses Haus gehörte, der die Kleider, die sie trug, bezahlt hatte und der in ein Gefängnis hineinspaziert war und die Gesetzeshüter in einer Viertelstunde über den Haufen geworfen hatte, ohne ins Schwitzen zu geraten oder – wie Hannah behauptet hatte – auch nur die Stimme zu erheben. Er sah jetzt so kalt aus wie der Mond, ein Handlanger des Teufels,
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