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Eine naechtliche Begegnung

Eine naechtliche Begegnung

Titel: Eine naechtliche Begegnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meredith Duran
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fallen, damit er ihre Haltung nicht als Zeichen von Angst missdeutete. »Wie schön für Sie. Es ist ja auch nicht Ihre Mutter, die alle eine Wahnsinnige nennen. Und wenn ich mich wirklich an diesen Ort erinnere …« Dann wäre es sogar wahr.
    Was für eine Frau stahl ein Kind? Was konnte eine Frau zu einer solchen Tat treiben?
    Dunkel stieg eine verstörende Ahnung in ihr auf. Mum hatte Rushden einen lüsternen Teufel genannt. Und sie war sich immer so sicher gewesen, besser als jeder andere zu wissen, was richtig und falsch war.
    St. Maur nahm ihre Hand. Nell erschrak, zog sie aber nicht weg. Sein Griff war fest, und er sah sie offen und ehrlich an, keinen Schalk im Gesicht. »Wenn Sie sich an das Haus erinnern«, sagte er, »dann glaube ich nicht, dass es Ihrer Mutter schadet, wenn Sie es zugeben. Was geschehen ist, ist geschehen. Jetzt bekommen Sie nur einen neuen Blick auf das, was bereits geschehen ist – und zwar vor langer Zeit. Vor fast zwanzig Jahren.«
    Geschmeidige Logik. »Und wenn jemand Ihre Mutter eine Kriminelle nennen würde? Wäre Ihnen das auch egal?«
    »Oho.« Ein geräuschvolles und ausgesprochen belustigtes Ausatmen. Er ließ ihre Hand los und schob seine wieder in die Tasche. »Ich kann es mir kaum vorstellen«, sagte er. »Aber ihre Reaktion wäre spektakulär. Sie wacht eifersüchtig über ihren guten Namen.« Sein Lächeln war schief. »In dieser Hinsicht kam sie mit Ihrem Vater sehr gut zurecht.«
    Nell sah sich ebendiesen Vater wieder an. Er saß auf einem Pferd, Paton Park zeichnete sich in der Ferne ab. Sie hatte eine Vorstellung davon, wie ein Vater auszusehen hatte. Ihr Stiefvater war nicht alt geworden, aber er war gut und lustig gewesen und hatte immer ein Lächeln auf den Lippen gehabt. Sonntags nach der Kirche hatte er ihr frittierte Austern gekauft, und bei Theatervorstellungen durfte sie auf seinen Schultern sitzen.
    Dieser Mann sah nicht so aus, als würde er einem kleinen Mädchen erlauben, auf ihm herumzuklettern. Finstere Augen blickten unter schweren, dunklen Brauen hervor. Ein buschiger Backenbart. Sie kannte diesen Blick. Manchmal waren ihr feine Leute in ihren Kutschen aufgefallen, die genauso belustigt und ungläubig gegrinst hatten.
    Was für ein Mann ließ sich in dieser Weise malen? Für die Ewigkeit würde er auf andere Menschen hinabsehen.
    Trotzdem. Den quadratischen Kiefer könnte sie von ihm haben.
    Augen und Nase von seiner Frau.
    Sie holte Luft und konzentrierte sich auf die Countess. Hübsche Lady. Sie saß in einem lichtdurchfluteten Salon, eine langfingrige Hand über dem Buch auf ihrem Schoß. Schöne, weiße Schultern. Freundliche Augen.
    »War er gemein zu ihr?«, flüsterte sie.
    Kurzes Abwarten. »Er war von Natur aus kalt, denke ich.«
    »Nein, ich meine, ob er grob zu ihr war. Hat er sie geschlagen?« Mum hatte ihr ohne Bedenken den Hintern versohlt, wenn sie glaubte, dass ihre Seele in Gefahr war, aber solange sie genügend Kraft hatte, hatte sie niemals zugelassen, dass Michael die Hand gegen Nell erhob. Wenn Rushden ein gewalttätiger Typ war, hatte Mum vielleicht gedacht …
    »Nicht soweit ich es gesehen habe.« St. Maur schwieg. »Viele Männer leben ihre Wut aus, ohne die Fäuste zu gebrauchen, Nell.«
    Sie zuckte gelangweilt mit den Achseln. Das war ihr nicht neu. »Wie ist sie denn gestorben?«
    »An gebrochenem Herzen, heißt es. Etwa zwei Jahre, nachdem man Sie entführt hatte.«
    Nell verzog den Mund. »Gebrochenes Herz – das ist mal eine Krankheit für reiche Frauen. Wir anderen können uns nur leisten, an richtigen Krankheiten zu sterben.«
    Er sah sie an, die Linie seines Mundes war ernst. »Ein kluger Gedanke. Glauben Sie daran?«
    Seine Sachlichkeit traf sie unvorbereitet. Er verhielt sich nicht, wie sie erwartet hatte. Er sprach tatsächlich mit ihr, stellte ihr Fragen, als ob die Antworten ihn interessieren könnten.
    Wie merkwürdig. Fast zog sie es vor, dass er ein arroganter, selbstherrlicher Blaublüter blieb. »Ich glaube, wenn man an gebrochenem Herzen sterben könnte, dann gäbe es sehr viel weniger Menschen auf der Welt«, sagte sie langsam.
    »Ihr Herz war also schon einmal gebrochen?«
    »Nein.«
    »Sie haben Glück.«
    »Ich bin klug.« Nicht so ein strohdummes Mädchen wie Suzie, die sich von einem hübschen Gesicht täuschen ließ und darüber vergaß, was für sie selbst am besten war.
    St. Maur betrachtete sie länger, als ihr angenehm war. »Sie sind sehr jung, oder?«
    Seine Herablassung ärgerte sie. »Warum?

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