Eine private Affaere
surrealen Glanz.
Auf fast schon unheimliche Weise merkte er, was in meinem Kopf vorging, schlenderte hinüber zu dem Schränkchen und berührte es. Dann öffnete er die kleinen Glastüren und nahm das Buch heraus, das mir am wichtigsten war: The Golden Treasury of English Verse . Ich war mir sicher, daß er nun vor der Zerstörung meines Körpers auch noch meine Identität auseinandernehmen würde. Statt dessen streichelte er das Buch.
»Das bist du, stimmt’s?« Er legte das Buch auf das Schränkchen. »Ich hab’ mich immer gefragt, warum ich nie so richtig an dich rangekommen bin, was dich zusammenhält. Das da. Dieses alberne kleine Buch. Du bist irgendwo in einem romantischen Teenagertraum steckengeblieben – über die Frauen, über die Welt. Und diese Träume hast du gefüttert, mit Gedichtbänden. Aber Gedichte können keine Kugeln aufhalten, mein Alter. Zieh dich an.«
»Willst du mir wirklich dabei zuschauen?«
»Yeah.«
Er starrte mich an, während ich aus meinem Morgenmantel schlüpfte und mich bückte, um einen Slip aufzuheben.
»Stop. Bleib so stehen. Genau das ist die Stellung, Jimmy. Im Knast – du weißt schon, wenn sie dich bumsen wollen –, dann zwingen sie dich dazu, dich nach vorne zu beugen. Genau so. Und dann nehmen sie Seife oder Vaseline. Und ein paar Typen halten dich fest. Das sind Profis, Jimmy, echte Profis.«
Er sprach langsam, benebelt von den Drogen.
»Kann ich mich jetzt anziehen?« fragte ich.
»Yeah. So gut gefällst du mir doch nicht. Bist zu dürr, bis auf den häßlichen kleinen Schmerbauch. Im Anzug schaust du besser aus.«
Ich schlüpfte in eine Hose; dabei zitterten meine Hände furchtbar. Als ich angezogen war, bedeutete er mir mit der Waffe, daß ich vor ihm die Treppe hinuntergehen solle. Er schien zu wissen, wo sich meine Garage befand, und wartete, während ich das Tor zurückschob. Dann stieg ich ein. Am liebsten wäre ich einfach losgefahren und hätte ihn gegen die Wand gequetscht, doch ich tat es nicht und verfluchte mich für meine Feigheit.
Er setzte sich auf den Beifahrersitz und sah sich mit Kennerblick um.
»Hübsche Karre. Das Modell hat mir immer gut gefallen. Das hat Klasse, James – genau wie du.«
»Wo fahren wir hin?«
»Irgendwohin. Ist mir eigentlich egal. Welche Straße hier in der Gegend ist denn am besten zum Sterben?«
Ich zitterte. »Du willst mich doch nicht wirklich umbringen, oder?«
Er sah mich neugierig an. »Hast wohl Angst, was? Machst dir in die Hosen? Siehste, so geht’s mir schon über ’n Jahr. Aber jetzt hab’ ich keine Angst. Um ehrlich zu sein: Ich bin total entspannt. Total.«
»Weil du die Waffe in der Hand hast.«
Er lächelte. »Yeah – endlich. Endlich hält der alte Oliver die Waffe in der Hand. Ist eigentlich ’ne jämmerliche Knarre, aber was soll’s. Mit dem Ding muß ich dir aus kurzer Entfernung zwischen die Augen schießen. Und dann kommst du wahrscheinlich immer noch mit ’n bißchen Kopfweh davon. Tja, so ist das bei mir – wenn ich endlich die Waffe in der Hand habe, ist’s ’ne Knarre wie das Ding hier. Wenn ich so schlau wäre wie du, hätt’ ich mir auch so ’ne große unsichtbare Waffe rausgesucht, wie ihr Anwälte sie ständig mit euch rumtragt. So ’n Ding, wie ihr es mein ganzes Leben lang auf mich gerichtet habt. Weißt du das?«
»Ja, Oliver – ich weiß es.«
Ich fuhr rückwärts aus der Garage heraus und lenkte den Wagen ziellos die menschenleeren Straßen entlang. Der Jaguar schnurrte beruhigend. Irgendwann begann Thirst, über George Holmes zu reden. Ich ermutigte ihn dazu. Es war wie in Tausendundeiner Nacht.
»Schon peinlich, wie ich endlich rausgekriegt hab’, was das ganze Gefasel von den Psychiatern und Bewährungshelfern eigentlich bedeutet – ziemlich peinlich. Da kommt man sich vor wie ’n Contergankind – alle haben davon gehört, und alle wollen’s sehen. Ich hab’ wohl ’nen Ersatzvater gebraucht, was? Tja, und da war er, der gute Detective Sergeant George Holmes, hat mir aufgelauert in ’nem alten Minenfeld. Damals war ich zwölf, quicklebendig und voller Ehrgeiz. Der gute alte Vater Holmes, der perverseste Mann, den ich je kennengelernt habe – innen wie außen. Natürlich hat sich mit dem nie ein Psychiater beschäftigt. Und er hat mich nach seinem eigenen Bild geschaffen, James. Mein Gott, es ist nicht zu fassen.«
Wahrscheinlich meinte er mit »es« die Tränen, die ihm die Wangen herunterliefen. Er wischte sie mit der Hand weg, die die Waffe
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