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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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den Abend, nur wir zwei – ich war damals noch ein kleiner Pimpf, aber du warst, glaube ich, schon ein Teenager. Du hast mir gezeigt, wie man so ’ne Vespa knackt, und dann haben wir eine Spritztour durch ganz Camberwell gemacht. Und damals auf der Waterloo Bridge hast du dann die Kaltschnäuzigkeit gehabt, so zu tun, als hättest du mich noch nie im Leben gesehen. Das war schon ziemlich merkwürdig. Ich hab’ gedacht, du bist übergeschnappt.«
    Mir trat der kalte Schweiß auf die Stirn. Meine Hände zitterten am Steuer, und ich empfand so etwas wie eine innere Erschütterung, als die beiden Teile meines Bewußtseins, die ich jahrzehntelang auseinandergehalten hatte, mit einem Knall zusammenprallten. Ich hatte meine frühere Freundschaft mit Thirst nicht vergessen. Ich hatte nur nie mit jemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit ihm selbst, so daß sie eine völlig eigenständige Existenz geworden war, wie eine Phantasie.
    »Vielleicht war ich tatsächlich übergeschnappt, Oliver – weißt du, das, was ich gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Ich war ein völlig anderer Mensch, ganz ohne Geschichte.«
    »Du hast mich verstümmelt – die ganze Bande hat dich bewundert. Du warst unser Held, James, der geborene Gangster. Das haben alle gesagt. Auf der Straße haben sie gesagt, du hast deine Mutter vor der Zeit ins Grab gebracht. Ich könnte eine Fallstudie über dich schreiben. Schuldkomplex und so. Du hast dich aus dem Staub gemacht und mir dein Erbe hinterlassen. Ich hab’ das Leben geführt, das eigentlich für dich gedacht war. Du bist ungestraft davongekommen – aber auch das hatte seinen Preis.«
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Sag mir noch eins: Wieso bist du so geworden? War der Tod deiner Mutter der einzige Grund?«
    Ich stöhnte unwillkürlich auf. »Eigentlich nicht. Ich hab’ Motorräder geklaut, ich war süchtig danach. Einmal hab’ ich in der Nacht eine Norton 750 gestohlen – erinnerst du dich noch an die Maschinen? Riesige Dinger. Sie war zu groß für mich. Ich bin um ’ne Kurve geschlittert, hab’ ein Kind angefahren und bin abgehauen. Am nächsten Tag hat alles in den Zeitungen gestanden: ein zehnjähriges Mädchen mit zahlreichen Knochenbrüchen. Beine, Arme, Schädel, alles.«
    Thirst grunzte etwas. »Aber du hast sie nicht umgebracht? Und sie hat auch keine bleibenden Schäden davongetragen?«
    »Nein. Sie hat überlebt. Als ihre Knochen wieder zusammengeheilt waren, war sie völlig okay.«
    »Hm«, sagte Thirst. »Dann warst du also doch zimperlicher, als du immer getan hast.« Er dachte einen Augenblick mit gerunzelter Stirn nach. »Hey, Augenblick mal …« Er musterte mich in der Düsternis. »Mein Gott, James! Ach, Jimmy, mein Alter! Jetzt fällt es mir wieder ein. Das war damals in allen Lokalblättern. ›Mädchen von brutalem Motorradrowdy überfahren‹ – oder so was Ähnliches. Da waren auch Bilder von dem Kind drin, war von Kopf bis Fuß bandagiert. Ja, jetzt weiß ich’s wieder, eine Norton 750. Aber James, deswegen haben sie Fred Snark eingebuchtet! Der gehörte auch zu uns, bloß daß er ein gutes Stück älter war und nicht so sonderlich helle. Er war grade siebzehn, deshalb haben sie ihn gleich in den Knast gesteckt, nicht in die Besserungsanstalt. Er war wie ein Bruder für dich, James. Nach den ganzen Zeitungsberichten haben sie ihm ordentlich was aufgebrummt. Schwere Körperverletzung, Fahrerflucht, Diebstahl und Fahren ohne Führerschein. Das Mädel war nach vier Monaten wieder in Ordnung, aber er hat fünf Jahre bekommen. Hat Fred gewußt, daß du das warst?«
    Ich schluckte. »Nein, er hat’s nie erfahren. Ich bin jeden Tag vor dem Polizeirevier in Camberwell Green gestanden und wollte reingehen und gestehen, aber ich hab’s nicht geschafft. Ich hab’ einfach nicht den Mumm gehabt. Damals war ich noch ziemlich jung, ein bißchen über vierzehn. Irgendwann hab’ ich’s dann meiner Mutter gebeichtet. Sie hat’s meinem Vater gesagt. Ich war mir sicher, daß er mich dazu zwingen würde, mich zu stellen. Wahrscheinlich habe ich das von ihm erwartet. Statt dessen hat er einen Verwandten, einen Gefängniswärter, gebeten, mir den Kopf zu waschen. Er hat mir ziemlich deutlich gemacht, wie das Leben im Gefängnis aussieht. Vergewaltigung, Syphilis, Mord, Schlägereien, Demütigungen aller Art … Der Kerl hat nicht hinterm Berg gehalten damit. Als er fertig war, hat mein Vater vor ihm mit mir geredet. Das war das einzige Mal, daß mein Vater so viel gesagt

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