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Eine private Affaere

Eine private Affaere

Titel: Eine private Affaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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unter der Bettdecke aus und hörte ihm zu. Es war deutlich zu hören, daß er Drogen genommen hatte, denn seine Stimme klang nicht nur flach, sondern auch irgendwie unheimlich.
    »Hab’ gedacht, ich ruf mal an. Überraschung, was? Tja, ist ’ne Menge passiert. Weißt du, daß sie mich verlassen hat? Ist sicher schon vier Jahre her. Kann ich ihr nicht verdenken – ich war ein übles Schwein. Ich tauge einfach nicht zur Ehe. Wahrscheinlich hab’ ich sie bloß gewollt, weil du sie hattest. Sie war das einzige, was du nie freiwillig hergegeben hättest – deine Trophäe. Tja, jetzt ist’s raus. Du hast das wahrscheinlich sowieso geahnt. Bist mir ja immer zehn Schritte voraus. Mein Gott, ich wär’ wirklich gern wie du. Ich würd’ gern mal ’ne Woche mit dir tauschen. Wenn du wüßtest, wie’s ist, ich zu sein, würdest du mich nicht mehr hassen, sondern bemitleiden. Ich würde zehn Jahre geben, wenn ich bloß ein Jahr du sein könnte, aber ich bin fertig, James – finito. Er hat Probleme und kann sich’s diesmal nicht leisten, mich zu decken, also läßt er mich fallen. Aber da spiele ich nicht mit. Ich geh’ nicht mehr in den Knast, James; lieber bringe ich mich um.«
    So ging das ein paar Minuten lang, dann legte er plötzlich auf.
     
    Ich dachte träge über all die merkwürdigen Veränderungen nach, die das Schicksal mit sich bringt, und schlief ein. Zum erstenmal seit Jahren hatte ich wieder wirklich angenehme Träume. Sie waren irgendwie schwerelos; ich kam mir vor wie aus diesem Gefängnis der Schwerkraft entlassen. Als ich mich am nächsten Morgen rasierte – und das nicht mehr ganz junge Gesicht im Spiegel sah –, erinnerte ich mich wieder an den Anruf. Da war er wieder, dieser rätselhafte »Er«, dessen Identität gar nicht so rätselhaft war. Doch das, wofür dieser »Er« stand, flößte mir Respekt ein.
    Dann wurde die Erinnerung an den frühen Anruf von den unerbittlichen Geschäften des Tages verdrängt. Eine Bankangestellte hatte sich zu einer Unterschlagung hinreißen lassen. Es ging dabei nur um eine kleine Summe, aber die Sache war klug eingefädelt. Sie hatte sich aus Langeweile auf das Wagnis eingelassen; außerdem wollte sie ihrem Chef beweisen, daß sie nicht so unintelligent war, wie er offenbar dachte. Erst als ich am Victoria Embankment, ungefähr hundert Meter von der Waterloo Bridge entfernt, mit dem Wagen im Stau stand, fiel Thirst mir wieder ein. Es war bereits Abend; die Menschen hasteten im Licht der Straßenlaternen in Richtung U-Bahn. Ich machte mich auf längere Wartezeiten gefaßt, als Polizisten mit Reitstiefeln und Helmen begannen, den Verkehr zu regeln. Jetzt hatte ich wieder seine Stimme im Ohr: »Wahrscheinlich hab’ ich sie bloß gewollt, weil du sie hattest … Tja, jetzt ist’s raus.« Es war nicht nur der Sinn dessen, was er gesagt hatte, sondern auch der Tonfall, der mich überraschte. Ich suchte nach einem passenden Adjektiv. Schließlich verfiel ich auf »impotent«. Die Stimme hatte ihre Potenz verloren.
    »Daisy«, sagte ich, »du armer Trottel«, und lächelte in den Rückspiegel.
     
    Ungefähr eine Woche später wurde ich wieder mitten in der Nacht aufgeweckt. Die Stimme war letztlich dieselbe wie beim erstenmal, doch diesmal klang sie hart und nüchtern.
    »Hab’ ich dich neulich nacht angerufen? Ich glaub’, ich erinnere mich an so was. Natürlich war ich stoned, und wahrscheinlich hab’ ich einen Haufen Scheiß erzählt.«
    »Wahrscheinlich wirst du jetzt alles bestreiten.«
    Es herrschte Schweigen.
    »Nein. Wahrscheinlich haben die Sachen, die ich gesagt hab’, gestimmt, aber sie waren’s nicht wert, ausgesprochen zu werden. Jetzt wirst du mich bis ans Ende deiner Tage für eine Memme halten.«
    Ich quittierte diese Äußerung mit Schweigen.
    »Ich bitte dich nicht um Hilfe, aber ich hab’ wirklich Probleme. Diesmal bin ich dran. Irgend so ein großer Macker im Old Bailey hat gemerkt, daß früher oder später alle erwischt werden, bloß ich nicht. Er sagt, ich muß jetzt auch mal ran, damit’s besser aussieht. Wahrscheinlich geht’s glimpflich für mich ab, meint er – vielleicht vier Jahre in der Bücherei in Wormwood Scrubs. Aber das mach’ ich nicht. Ich geh’ nicht mehr in den Knast, James – nie mehr. Hab’ ich das schon mal gesagt?«
    Ich brauchte eine Weile, bis ich begriff, daß er das ironisch meinte und daß dieser »Er« nicht die gleiche Person war wie »der große Macker«. Aber mittlerweile hatte Thirst schon

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