Eine private Affaere
Nummer hallten von Stahl und Beton wider wie ein Echo, bis sie an seiner Zelle anlangten, während man mich in das Besuchszimmer führte.
Anders als sonst gelang es mir nicht, all die kleinen Zeichen brutaler, unterdrückter Männlichkeit – von Gefangenen und Wärtern gleichermaßen – zu ignorieren: Aufdringliche Geilheit, ein dunkles Netz aus Eifersüchteleien, kindliche Fixierungen, die verzerrt und verdrängt in erwachsenen Männern weiter existierten, das alles äußerte sich in langen Blicken, bizarrem Grinsen und kindischen Graffiti. Ich hatte den Eindruck, daß Thirst das Herz dieser Dunkelheit war. Trotz, vielleicht auch gerade wegen seiner Schwäche für Verrat verkörperte er in vielerlei Hinsicht den typischen Wiederholungstäter: Er sah gut aus, hatte Muskeln, ging keiner Gewalttätigkeit aus dem Weg, beherrschte den Jargon perfekt und reagierte gleichgültig auf Einsamkeit. Außerdem deutete er oft durch verschlüsselte Worte und Gesten an, daß nur diese extreme Strafe der Einkerkerung seiner Männlichkeit würdig war.
»Wie geht’s Ihnen, Oliver?«
»Wunderbar, ist mir nie besser gegangen. Im Knast fühle ich mich immer topfit, denn da gibt’s nichts zu saufen, mehr als genug körperliche Ertüchtigung und keine Nutten, die einem ständig an die Eier wollen.«
Und trotzdem wünschte er sich nichts sehnlicher, als aus dem Gefängnis herauszukommen, mehr als jeder andere Gefangene, den ich je gesehen hatte. Ohne Vorwarnung nahmen seine Augen einen sehnsüchtigen Ausdruck an. Ich empfand seinen Neid auf meine Freiheit wie eine körperliche Kraft, die an meinem Solarplexus zerrte. Er war hin und her gerissen zwischen Hoffnung und Verzweiflung.
»Werden wir’s schaffen?«
»Sie wissen, daß ich diese Frage nicht beantworten kann.«
Er war intelligent genug, die Bedeutung dieser Berufung von Anfang an zu begreifen. Zwar war das Verbrechen unbedeutend, aber er befand sich an einem kritischen Punkt seiner kriminellen Laufbahn. Wenn die Berufung durchging, kam er vielleicht vorzeitig aus dem Gefängnis und konnte Leute davon überzeugen, sich für seine Rehabilitierung einzusetzen. Wenn nicht, würde man ihn aufgeben.
Ich ging sorgfältig seine Aussage mit ihm durch und paßte sie an das an, was er während seiner Verhandlung gesagt hatte. Das Universum, das hinter diesen Dokumenten lag, war mir mittlerweile vertraut – das war eine Welt, in der Schecks gestohlen und weitergegeben wurden wie eine alternative Währung, in der Unehrlichkeit den Verstand durch die Hauptstraße und die Läden und nachts in stille Nebenstraßen führte. Dort hatten vertraute Worte noch andere, subtile, rätselhafte Bedeutungen, und fast jede bewußte Handlung zielte auf ein Opfer. Als ich mit ihm an dem billigen Gefängnistisch saß, den Wärter im Profil auf der anderen Seite des verstärkten Glases, kam ich mir vor, als wäre ich hinter einen Vorhang getreten. Die Distanz, die jeder Strafverteidiger im Umgang mit seinen Mandanten an den Tag legen muß, die bewußte Verkürzung der ganz normalen menschlichen Konversation, um den Gesprächspartner nicht zu nahe an sich heranzulassen, war bei Thirst nur schwer herzustellen. Es war genau, wie der Sozialarbeiter gesagt hatte – er war intelligent. Er wußte, was ich dachte, sah, wie ich meine Strategie für seine Berufung aufbauen wollte, und er hatte all die Antworten bereit, die ich für meine Arbeit brauchte.
»Gefällt mir. Yeah, genau so denken die im Berufungsgericht. Formalistisch.«
Wir lassen uns alle am leichtesten durch den Eindruck verführen, verstanden zu werden. Sozusagen als Gegenleistung für sein problemloses Eindringen in meine Gedanken zog er mich – auch wenn ich mich wehrte – in die seinen.
Aber schon als ich wieder hinaus ins Licht trat, endete sein Einfluß auf mich. Seine Welt hörte dort auf, wo meine begann – die Hektik des Alltags nahm mich voll und ganz in Anspruch. Höchstwahrscheinlich dauerte es für ihn quälend lange, bis der große Tag endlich anbrach, während die Zeit für mich wie im Flug verging.
[16]
Ich schlief wenig in der Nacht vor der Berufung. Sogar die ausgebufftesten alten Hasen gaben ohne Scham zu, daß sie nervös wurden, wenn sie vor dem Lord Chief Justice des Berufungsgerichts erscheinen mußten. Es machte keinen Unterschied, daß ich von einem Queen’s Counsel »geleitet« wurde, was bedeutete, daß ich wahrscheinlich nichts sagen mußte.
Ich hatte den Fall vorbereitet und die Nachforschungen angestellt,
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