Eine private Affaere
sagte ich, »mit den Kriminellen, mit den Leuten, die sie festnehmen, denen, die über sie richten müssen, und denen, die versuchen, sie zu ändern. Und die Angehörigen der vierten Gruppe sind am mitleiderregendsten.«
»Und die heldenhaftesten?«
»Wenn Sie meinen. Ich habe vergessen zu erwähnen, daß normalerweise gerade die Wohlmeinenden am Schluß die Verbrecher hassen. Die Polizei haßt sie nicht, und auch nicht die Anwälte. Aber schau’n Sie sich einen Bewährungshelfer oder einen Sozialarbeiter an, der mehr als zehn Jahre im Geschäft ist, dann sehen Sie jemanden, der die Leute haßt, mit denen er zu tun hat.«
»Und woran liegt das Ihrer Meinung nach?«
»Warum hatte Hogg einen Nervenzusammenbruch?«
»Er hat Oliver geliebt und versucht, ihn zu ändern.«
»Genau, und jeder Mensch, der versucht, andere Menschen zu ändern, ist zum Scheitern verurteilt.« Ein Gedanke huschte durch meinen Kopf – Thirsts sichere Hand auf der Gangschaltung, sein lebhafter Blick in jener Nacht: »Was war das?«
»Ein Hase«
»Ein toter Hase«
»Betteln Sie«.
»Unsinn!« sagte Daisy.
»Nein«, sagte Eleanor. »Ich stimme Ihnen zu. Absolut. Aber wie sieht’s bei jemandem aus, der sich ändern möchte? Auf seine eigene stolze Art bittet er um Hilfe – vielleicht unbeholfen, ja sogar grotesk, aber immerhin: er bittet.«
»Wenn Sie ihm helfen wollen, bleiben Sie auf Distanz. Aber das wissen Sie selbst, Eleanor.«
Sie sah mich wieder mit diesem weltklugen Blick an. »Es ist wirklich erstaunlich, daß ich Sie beide heute getroffen habe, denn ich hatte mich schon fast dazu durchgerungen, Sie anzurufen.«
»Um zu fragen, ob wir Oliver helfen würden?« fragte Daisy.
»Ja.«
»Natürlich helfen wir, wenn wir können. Oder?«
Ich schwieg.
»Er ist ein merkwürdiger Kerl«, sagte Eleanor. »Den Typ kennt man, auch wenn er nur selten vorkommt – der Kriminelle, der wirklich einen brillanten Verstand besitzt. Ich hatte ganz vergessen, wie mächtig der Intellekt von jungen Menschen ist. Weder Michael, er ist tot, noch meine Tochter Lizzie sind – waren – besonders begabt, lediglich Durchschnitt. Ein ausgesprochen intelligenter junger Mensch ohne höhere Bildung ist erschreckend. Sein Gehirn arbeitet blitzschnell, und weil er nie eine Ausbildung erhalten hat, schnappt er Dinge auf, die sonst niemandem auffallen. Er hat mir erklärt, daß ich Tom nie geliebt habe. Man könnte meinen, daß das nicht gerade eine verblüffende Erkenntnis ist – aber für einen Ganoven, einen Sträfling ohne jegliche gesellschaftliche Programmierung? Deutet das nicht auf einen Geist hin, der begierig ist, Neues zu lernen?«
»Wie merkwürdig, daß er so was sagt«, meinte Daisy.
»Er sagt viele merkwürdige Dinge. Es ist unheimlich. Es ist fast so, als wäre man mit einem Tier zusammen, das menschliche Intelligenz besitzt – als ob er sich am Geruch orientiert. Und er hat die Augen überall. Wenn er seinen Machismo vergißt, kann er sogar ganz charmant sein. Anfangs wollte ich, daß er diese Seite kultiviert, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Dieses gierige Tier ist auch faszinierend.«
Daisy hörte aufmerksam zu.
»Vielleicht haben Sie Angst vor ihm, James?« fragte Eleanor.
»Ja«, sagte Daisy.
»Was erschreckt Sie so an ihm?«
»Mit Sicherheit nicht sein Intellekt, obwohl der auch beeindruckend ist, das muß ich zugeben«, sagte ich. »Ich finde die Lügen erschreckend, die man ihm erzählt hat, und die Wut, die er empfinden wird, wenn er den Betrug entdeckt.«
»Lügen?«
»Ja. Er ist sehr gewitzt, aber er möchte an die Chancen glauben, von denen die Leute ihm erzählen. Alle Menschen, mit denen er sich unterhält, sagen ihm, er muß sich weiterbilden, wenn er es zu etwas bringen will. Das habe ich ihm auch gesagt. Die unterschwellige Botschaft lautet, daß er durch die Bildung seine Vergangenheit ungeschehen machen, auf gleicher Ebene wie wir anderen leben kann. Vielleicht in einem Haus wie diesem.«
»Warum nicht?« fragten Eleanor und Daisy gleichzeitig.
»Solche Dinge kommen vor«, sagte Eleanor. »Ein paar von den größten Industriemagnaten sind früher mal Straßenkinder gewesen.«
»Ja, aber Sie haben bereits gesagt, daß Thirst ein komischer Kerl ist. Er ist kein verkannter leitender Direktor, kein Klugscheißer, dem irgendwann die Erleuchtung kommt, daß sich legale Unehrlichkeit besser auszahlt.«
»Und was ist er dann?«
»Ein gar nicht so ungewöhnlicher Fall für einen Kriminellen. Er ist
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