Eine private Affaere
ein Romantiker. Sind Sie sich klar über die unterschwellige Botschaft, die alle an ihn aussenden? Wenn er ein guter Junge ist und seine Prüfungen besteht, kann er ein Leben führen, das genauso aufregend ist wie Autos klauen und mit ausgeschalteten Scheinwerfern nächtliche Spritztouren unternehmen. Das ist es, in der einen oder anderen Form, was sich ziemlich viele Leute, nicht alle von ihnen übrigens jung, heutzutage vom Leben erhoffen. Wenn man Thirst die Mittelschichtslösung anbietet, ist das so, wie einem Heroinsüchtigen ein Glas Sherry zu geben. Das Problem des Süchtigen ist sein Vergnügen – es ist einfach zu stark. Nur ein vergleichbares Vergnügen ist ein wirklicher Anreiz. Thirst ist gerade dabei, sich davon zu überzeugen, daß er auf dem richtigen Weg ist. Und wenn er merkt, daß das nicht der Fall ist, geht er in die Luft. Davor habe ich Angst.«
»Ich finde es faszinierend, Ihnen zuzuhören, James«, sagte Eleanor. »Das klingt ausgesprochen intelligent und trübe. Man könnte fast meinen, daß die eigentliche Triebfeder unserer Gesellschaft der Wunsch ist, so zu sein wie Oliver.«
»Genau das glaube ich auch«, sagte ich.
»Das heißt also, daß wir einen brillanten Geist verrotten lassen?« fragte Eleanor. »Schließlich reden wir über einen Menschen aus Fleisch und Blut.«
Das Telefon klingelte. Eleanor hob ab.
»Aber Schatz, wir haben doch schon darüber gesprochen, und wir haben beschlossen, daß du nicht mit diesen Leuten an die Riviera fährst … Nein, das sind keine netten Leute, Lizzie. Wir haben uns darüber unterhalten, und du hast mir beigepflichtet, daß sie dekadent sind … Lizzie, wie kannst du mir das antun, nach allem, was passiert ist … Wie soll ich es ertragen, hier herumzusitzen, während du da unten in Saint-Tropez mit diesen Drogensüchtigen wer weiß was machst?«
»Meine Tochter«, erklärte sie, nachdem sie aufgelegt hatte. »Siebzehn ist ein schwieriges Alter für ein Mädchen.«
»Haben Sie sie Oliver vorgestellt?« fragte ich.
Eleanor wurde rot.
Als wir gingen, sagte Daisy: »Natürlich werde ich Oliver beim Lernen helfen. Und James auch. Wir werden seine Freunde sein.«
[21]
Ich baute mir einen Mandantenstamm für das Old Bailey auf, der höchste Ehrgeiz eines Strafprozeßanwalts. Das Bailey, wie die Eingeweihten es nennen, ist ein Tempel des Verbrechens; seine Steine werden von einem Mörtel aus Mord, Vergewaltigung und bewaffneten Raubüberfällen zusammengehalten. Jeden Morgen werden hier die Schwerverbrecher angeliefert – Frischfleisch in häßlichen Gefängniswagen – und in Handschellen zu den Zellen im Untergrund gebracht. Dieser Ort berauschte mich, füllte mich bis fast zum Bersten mit Selbstvertrauen. Ein Teil des Reizes bestand darin, zu wissen, was hinter den Schlagzeilen in den Abendzeitungen wirklich steckte, die immer über die spektakulärsten Fälle im Bailey berichteten. Ich war dem Bailey dankbar dafür, daß es mir ein sicheres Gegengewicht zu der Unsicherheit lieferte, die ich Daisy gegenüber empfand.
Während des Verfahrens gegen eine bewaffnete Bande (Banküberfall, ein Polizist mit Brustschuß, ein Sicherheitsbeamter mit Kopfverletzung, fast eine Million Pfund Beute) verließ ich das Gebäude eines Nachmittags mit meiner neuen roten Tasche über der Schulter. Beaufort hatte sie mir nach Thirsts Berufung geschenkt. Das ist so Tradition, wenn ein Junior nach Meinung eines Queen’s Counsel gute Arbeit geleistet hat.
Außerdem trug ich einen neuen Anzug mit Weste. Das war der erste, den ich mir leisten konnte. Herrliche weiße Manschetten mit goldenen Knöpfen ragten ungefähr fünf Zentimeter unter dem dunkelblauen Stoff des Anzugs hervor. Mittlerweile trug ich farbenprächtigere Krawatten – leuchtend rot mit großen weißen Tupfen um einen abknöpfbaren, militärisch steifen Kragen. Daisy hatte mir eine Taschenuhr mit Goldkette ausgeredet: »Nenn mir einen Menschen unter Sechzig, der kein Barrister ist und in unserer Zeit noch eine Taschenuhr trägt.«
Ich sprang die Stufen hinunter, ohne Thirst, der unten wartete, zu beachten. Er gesellte sich schweigend zu mir. Er trug Turnschuhe und Jeans, dazu einen Pullover, dessen Ärmel er bis zum Ellbogen hochgeschoben hatte, so daß man die Tätowierungen an seinen Unterarmen sah.
»Ich hab’ Ihnen gesagt, daß Sie das nicht machen sollen«, zischte ich aus dem Mundwinkel. »Sie sind hier fast so bekannt wie ich.«
Ich ging raschen Schrittes zum Ludgate Circus, trat dabei
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