Eine schwimmende Stadt
besetzt, und Aller Augen richteten sich auf die Küste, die ungefähr sechs Meilen nördlich blieb. Man wartete mit gespanntem Interesse auf den Augenblick, wo die Ankunft des Lootsen die Angelegenheit der Poule regeln würde. Begreiflicherweise hatten die Besitzer der Nachtviertelstunden – ich selber gehörte unter ihre glückliche Zahl – jede Hoffnung aufgegeben, und auch die Tagesviertelstunden, außer denen, die zwischen vier und sechs Uhr lagen, hatten keine Chancen mehr. Noch vor Einbruch der Dunkelheit mußte der Lootse an Bord kommen, und hiermit fand die Sache ihre Entscheidung. Das ganze Interesse concentrirte sich mithin auf die sieben bis acht Personen, denen das Loos die nächsten sieben bis acht Viertelstunden zuertheilt hatte, und diese machten ein profitables Geschäft daraus, ihre Chancen mit wahrer Wuth zu verkaufen, wieder zu erhandeln und von Neuem loszuschlagen. Man hätte sich auf die Royal-Exchange in London versetzt glauben können.
Um vier Uhr sechzehn Minuten signalisirte man von Steuerbord einen kleinen Schooner, der auf das Steamschiff hinhielt. Jetzt schwand jeder Zweifel: das war der Lootse; in vierzehn, höchstens fünfzehn Minuten mußte er an Bord sein. Der Kampf beschränkte sich jetzt also nur noch auf das zweite und dritte Viertel zwischen vier und fünf Uhr Abends. Natürlich begannen nun Nachfrage und Angebot mit erneuter Lebhaftigkeit, und es entspannen sich so unsinnige Wetten über die Person des Lootsen, daß ich es vorziehe, hier ihren genauen Wortlaut wiederzugeben:
»Zehn Dollars, daß der Lootse eine Frau hat.
– Zwanzig Dollars, daß er Witwer ist.
– Dreißig Dollars, daß er einen Schnurrbart trägt.
– Fünfzig Dollars, daß sein Backenbart in’s Röthliche spielt.
– Sechzig Dollars, daß er eine Warze auf der Nase hat.
– Hundert Dollars, daß er mit dem rechten Fuß zuerst auf’s Verdeck kommen wird.
– Er raucht.
– Er wird eine Pfeife im Munde haben.
– Nein, eine Cigarre!
– Nein! Ja! Nein!«
Und mindestens noch zwanzig andere abgeschmackte Wetten, zu denen sich immer noch abgeschmacktere Leute fanden, die sich daran betheiligten.
Während dessen näherte sich der kleine Schooner, seine Segel so dicht wie möglich beim Winde, Steuerbordsseite zu, merklich dem Dampfer. Man unterschied die hübsche, ziemlich erhabene Form des Vordertheils und seine in die Länge gezogene Gilling, die ihm das Ansehen einer Vergnügungs-Yacht gab. Diese Lootseeboote sind ebenso graciöse als solide Boote von fünfzig bis sechzig Tonnen, sehr seetüchtig und richtig im Wasser fußend; sie heben sich gegen den Wellenschlag wie eine Möwe. Man könnte Lust bekommen, auf solcher Yacht die Welt zu umsegeln; die Caravellen Magelhaen’s wogen sie nicht auf. Dieser anmuthig geneigte Schooner hatte trotz der Brise, die jetzt anfing frisch zu werden, alle Segel beigesetzt, seine Mastspitzen und Stagsegel stachen weiß gegen den dunkeln Grund des Firmaments ab, das Meer schäumte unter seinem Vordersteven. In einer Entfernung von zwei Kabellängen vom Great-Eastern angekommen, ließ er plötzlich die Segel back brassen und setzte sein Boot in’s Meer. Kapitän Anderson ließ stoppen, und zum ersten Mal seit vierzehn Tagen standen Räder und Schraube still. Ein Mann stieg in das Boot des Schooners, und vier Matrosen schwammen auf den Steamer zu. Jetzt wurde an der Seite unseres Kolosses eine Sturmleiter hinuntergelassen, neben der die Nußschale des Lootsen anlegte; dieser griff hinein, kletterte behende empor und stand in wenigen Augenblicken auf dem Verdeck.
Er wurde von dem Triumphgeschrei der Gewinner und mit Rufen der Enttäuschung von Seiten der Verlierenden empfangen; die Poule regelte sich nach folgenden Daten:
Der Lootse war verheiratet.
Er hatte keine Warze an der Nase.
Er trug einen blonden Schnurrbart.
Er war mit beiden Füßen zugleich auf’s Verdeck gesprungen.
Endlich war es genau vier Uhr sechsunddreißig Minuten, als er die Füße auf das Verdeck des Great-Eastern setzte.
Der Besitzer der dreiundzwanzigsten Viertelstunde gewann also sechsundneunzig Dollars; es war Hauptmann Corsican, gewiß derjenige von allen Mitspielenden, der am Wenigsten an diesen unerwarteten Gewinn gedacht hatte. Nach kurzer Zeit erschien er auf dem Verdeck, und als ihm hier sofort der Einsatz der Poule überreicht wurde, bat er den Kapitän Anderson, das Geld der Wittwe des jungen verunglückten Matrosen zukommen zu lassen; der Commandant antwortete ihm nur mit einem
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