Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine schwimmende Stadt

Eine schwimmende Stadt

Titel: Eine schwimmende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Dean Pitferge theilte mir hier mit, daß die Zahl der Reisenden an Bord sich auf 4000 belief, unter denen sich etwa 1500 Auswanderer befanden, die in dem unteren Theil des Steamers eingepfercht waren. Als wir von der Tafel aufstanden, suchten wir alsbald unsere comfortable Cajüte auf und begaben uns zur Ruhe.
    Um elf Uhr erwachte ich, wie mir schien von einem heftigen Stoß; der Saint-John hielt, denn der Kapitän hatte in dieser dichten Finsterniß nicht weiter manoeuvriren können und stoppen lassen. Das kolossale Boot lag in der Stromenge vor Anker und schlief ruhig ein.
    Gegen vier Uhr Morgens nahm der Dampfer seine Fahrt wieder auf, und ich erhob mich, um die Morgenstunden unter der Veranda des Vorderdecks zu verleben. Es hatte jetzt aufgehört zu regnen, und der Nebel stieg; bald konnte ich das Flußwasser wieder sehen, und auch die Ufer tauchten nach und nach hinter dem schwindelnden Nebel auf. Nach der rechten Seite hin sah man grüne Sträucher und Bäume, die dem Ufer fast das Ansehen eines langen Friedhofs gaben, während im Hintergrunde eine Hügelkette den Horizont abgrenzte, zur Linken breitete sich, so weit das Auge reichte, flacher, sumpfiger Boden aus. Zwischen den Inseln des Hudson begegneten wir Schoonern, die bei der ersten Brise klar machen wollten, und ab und zu fuhren Dampfboote an uns vorüber, deren Weg den raschen Strom hinaufführte.
    Nach einiger Zeit erschien auch mein Reisegefährte, Doctor Pitferge, unter der Veranda.
    »Guten Morgen, rief er mir entgegen, nachdem er einige Minuten lang die frische Luft in tiefen Zügen eingeathmet hate; wissen Sie, daß wir, Dank diesem verwünschten Nebel, in Albany unseren Zug versäumen werden? Unser Programm wird dadurch eine wesentliche Aenderung erleiden.
    – Sehr fatal, Herr Doctor, besonders da uns unsere Zeit so knapp zugemessen ist.
    – Nun, so gar böse ist diese Verzögerung nicht; wir werden den Niagarafall nur in der Nacht statt Abends erreichen.
    – Es ist gerade nicht angenehm, aber wir müssen uns darein ergeben.«
    Unsere Befürchtung traf ein, der Saint-John warf erst um acht Uhr am Kai von Albany seine Anker aus; wir mußten also den Zug ein Uhr vierzig abwarten und hatten volle Zeit, diese merkwürdige Stadt, die den legislativen Mittelpunkt im Staate New-York bildet, zu besichtigen. Die untere, sehr commercielle und volkreiche Stadt ist am rechten Ufer des Hudson angelegt, die obere besteht aus Backsteinhäusern und besitzt viele öffentliche Etablissements und ein sehr bedeutendes Fossilienmuseum. Dieser Theil von Albany hat viel Aehnlichkeit mit New-York, doch entfaltet es sich amphitheatralisch an einem Hügel.
    Nachdem wir uns mit einem Frühstück erfrischt hatten, begaben wir uns auf den Bahnhof, der ohne jede Barrière, Geländer oder all dergleichen frei daliegt. Der Zug hält einfach auf der Straße wie ein Omnibus, und jeder, der ihn benutzen will, steigt ohne Umstände ein. Die langen Waggons werden vorn und hinten von einem Vierräder-System getragen und sind untereinander durch eine Art Brücken verbunden, die es den Reisenden ermöglichen, von einem Ende des Zuges nach dem andern zu promeniren. Zur bestimmten Stunde setzte sich unsere Locomotive, ein Meisterstück der Maschinenbaukunst, in flinke Bewegung, und ohne daß wir Zugführer oder sonstige Beamte zu sehen bekommen hatten, oder der Abgang durch Läuten signalisirt worden wäre, fuhren wir mit einer Schnelligkeit von zwölf Meilen in der Stunde davon. Anstatt, wie in den französischen Eisenbahnzügen, eingeschachtelt zu werden, hatten wir hier Freiheit auf und ab zu gehen, ungestempelte Zeitungen zu lesen und Bücher zu kaufen.
     

    Der »Saint-John« auf dem Hudson. (S. 141.)
     
    Es scheint, als sei der Stempel bis jetzt noch nicht in die amerikanischen Sitten und Gebräuche aufgenommen, als ob noch keine Censur in diesem merkwürdigen Lande darauf gekommen sei, daß die Lectüre der Reisenden mit mehr Sorgfalt überwacht werden müsse, als diejenige anderer Leute, die auf ihrem Sorgenstuhl am Kamin sitzen. Auch konnten wir uns all solche Bequemlichkeiten verschaffen, ohne auf Stationen oder Bahnhöfe zu warten, denn Bibliothek und Trinkhalle befanden sich mit im Zuge.
     

    Am Niagarafall. (S. 146.)
     
    Dieser durcheilte unterdessen Felder ohne Barrièren, frisch urbar gemachte Wälder, neue Städte mit breiten, von Schienen gefurchten Straßen, denen nur die Häuser mangelten, und Altstädte mit poetischen Namen der alten Geschichte, wie Rom,

Weitere Kostenlose Bücher