Eine skandaloese Liebesfalle
Gewändern, die schwarzen Flügel ausgebreitet und ein blutiges Schwert in der Hand. Tief unter der Botin, auf dem Boden, lag ausgestreckt, mit dem Gesicht im Schnee, ein Mann. Eine rote Rose befand sich neben ihm in voller Blüte.
Vere war nicht der einzige Gast, der eine Bemerkung über das ungewöhnliche und recht beunruhigende Bild machte. Aber die allgemeine Stimmung war so fröhlich und durchdringend und Miss Edgertons Wesen so freundlich und zuvorkommend, dass die Gäste alle in unausgesprochener Übereinkunft beschlossen, die unverhohlene Darstellung von Tod auf dem Gemälde zu ignorieren.
Miss Edgerton sprach das Tischgebet. Vere betete, dass das Schicksal ihm wohlgesonnen sein möge und es ihm gelänge, auf dem dünnen Grad zwischen unverkennbarem Schwachsinn und liebenswerter Beschränktheit zu wandeln, ohne zu straucheln.
„Miss Edgerton“, sagte er, als die Suppe aufgetragen wurde, „sind Sie zufällig mit Mortimer Edgerton von Abingdon verwandt?“
„Nein, Lord Vere. Die Familie meines verstorbenen Vaters stammt aus Cumberland, nicht Berkshire.“
In ihrer Stimme lag so viel Herzlichkeit und Freude. Ihre Augen funkelten. Ihre Aufmerksamkeit war allein, vollkommen und ausschließlich auf ihn gerichtet, als habe sie ihr ganzes Leben auf ihn gewartet. Am liebsten hätte er ihr gleich an Ort und Stelle einen Heiratsantrag gemacht und sie mit sich genommen. Sollte sich doch jemand anderes wegen Edmund Douglas den Kopf zerbrechen.
Am gegenüberliegenden Tischende stellte Lady Kingsley ihr Wasserglas vernehmlich auf den Tisch. Vere umklammerte seinen Löffel fester und zwang sich, mit seinen Fragen weiterzumachen. „Und was ist mit dem Bruder des alten Mortimer - Albermarie Edgerton. Sind Sie vielleicht mit ihm versippt?“
An dieser Stelle müsste ihre strahlend gute Laune das erste Mal ins Wanken geraten. Aber sie würde wahrscheinlich noch annehmen, dass er scherzte oder ihm ein dummer Fehler unterlaufen sei. Sie würde im Zweifel das Beste glauben wollen.
Ihre Fröhlichkeit ließ jedoch kein bisschen nach. „Auch nicht mit Mr Albermarle Edgerton, fürchte ich.“
„Und was ist mit ihren Cousinen, den Brownlow-Edgertons aus der angrenzenden Grafschaft? Mit denen müsste es doch eine gemeinsame Abstammung geben!“ Jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben. Jetzt würde sie erkennen, dass er nicht nur unterdurchschnittlich intelligent war, sondern auch nicht die leiseste Ahnung von seiner geistigen Minderbemitteltheit hatte. Aber sie strahlte weiterhin nur ungetrübte Freude aus, als habe er sich erkundigt, ob die schöne Helena eine direkte Vorfahrin von ihr sei.
„Nein, auch mit denen nicht, fürchte ich. Aber Sie scheinen sie sehr gut zu kennen. Handelt es sich um eine weitverzweigte Familie?“
Hatte sie eigentlich irgendetwas von dem verstanden, was er gesagt hatte? Wie konnte sie nur so überhaupt nicht darauf reagieren? Es war nur menschlich, unverhohlener Dummheit wenigstens mit einem kurzen Innehalten zu begegnen. Wo blieb ihr Innehalten?
„Allerdings, ich kenne sie gut. Und ich war mir sicher, dass da eine Verwandtschaft hätte bestehen müssen. Wirklich wunderbare Leute! Doch eine Schande, dass weder der alte Mortimer noch sein Bruder je geheiratet haben. Und ihre Cousinen waren alle alte Jungfern.“
Zu Beginn des Abends hatte er sich nicht vorstellen können, dass er in voller Absicht zu offener Blödheit übergehen würde. Aber er konnte nicht anders.
Sie nickte ernsthaft. „Umso mehr ein Grund, dass sie alle Kinder hätten haben müssen.“
Kein Innehalten, ja, noch nicht einmal ein Stocken. Kein noch so winziges Anzeichen dafür, dass ihr seine Absurdität auffiel.
Er nahm einen Löffel Suppe, um sich Zeit zum Nachdenken zu verschaffen - und stellte fest, dass er das nicht konnte. Sein Kopf war wie gelähmt. So hatte es nicht ablaufen sollen.
Und er konnte nicht - und wollte auch nicht - begreifen, was dies bedeutete.
Er aß noch zwei Löffel Suppe, die direkt aus der Themse zu stammen schien, danach blickte er sie verstohlen an. Ihre Haltung und äußere Vollkommenheit zwang ihn in die Knie. Was war nur innerlich mit ihr nicht in Ordnung? Wie konnte sie mit ihm eine Unterhaltung führen, als fiele ihr an ihm nichts Besonderes auf?
Sein Blick streifte das Gemälde hinter ihr.
„Das Ölbild dort, ist das Raffaels Die Befreiung Petri?' " Er war wild entschlossen, ihr eine Reaktion zu entlocken, und wenn es ihn umbrachte.
„Meinen Sie?“, fragte sie gelassen,
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