Eine Socke voller Liebe
Markus. Er hat eine Schnapsflasche in der
Hand und streckt sie ihr durch eine Öffnung entgegen. Sie will ihm die Flasche
abnehmen. Doch plötzlich steht ein gut gekleideter Mann im dunklen Anzug neben
ihr. Er zerrt Markus hinter dem Gitter hervor und stößt ihn vor sich her zum
Ausgang. Sabine folgt den beiden .
Als der Fremde sich umdreht, um auch sie am Arm zu fassen
und aus der Tür zu stoßen, erkennt sie Markus‘ alten Chef .
Die Kirchentür fällt laut hinter ihnen ins Schloss. Sie
steht allein auf der Straße .
Markus sitzt bereits in seinem verchromten Oldtimer. Er
hat das Verdeck heruntergeklappt und chauffiert den weißen Mustang zu einem
grünen Rasen. Sabine erkennt ihren eigenen Garten. Markus fährt mit dem Auto
über die Grünfläche. Währenddessen verlassen Möbelpacker ihr Haus. Sie
verstauen Umzugskartons, Möbel und Teppiche in einem großen Reisebus. Sabine
sieht, wie ihr Klavier in den Bus gehievt wird. Sie läuft hin, um dagegen zu
protestieren. Jemand drängt sie zurück. Es ist Carsten Schneider, der
Filialleiter ihrer Hausbank .
Sie gestikuliert mit den Armen in der Luft, um Markus zu
signalisieren, dass er schnell mit dem Auto wegfahren soll. Aber er kapiert
nichts. Im Gegenteil. Er fährt mit dem Cabrio auf sie zu, um sie einsteigen zu
lassen .
Sofort ist Schneider da. Er öffnet die Fahrertür und zieht
Markus mit solcher Kraft aus dem Wagen, dass er vor ihren Füßen landet.
Schneider verschwindet laut hupend mit dem Mustang und hinterlässt eine große
rote Staubwolke .
Lautes Glockengeläut weckte Sabine aus ihrem kurzen Schlaf
auf. Sie war nass geschwitzt und hatte das Gefühl, sich den Staub aus dem
Gesicht wischen zu müssen. Wann nur würde sie endlich aufhören, solch wirres
Zeug zu träumen?
Sie sah zu Andrea, die neben ihr tief und fest schlief.
Beneidenswert! Die Freundin war von Anfang an mit allen Sinnen hier auf dem
Jakobsweg gewesen, während sie sich selbst fühlte, als sei sie auf der Flucht.
Ja, aber wovor oder vor wem? Vor Markus? Vor den Kindern? Vor sich selbst? Vor
ihrem schlechten Gewissen? Vor der Wahrheit? Vor einer Entscheidung? Vor deren
Realisierung?
Sie wollte endlich ihre Ruhe haben, die Gedanken an Markus
los lassen und ihren Pilgerweg laufen. Warum schaffte sie das nicht?
Sie kämpfte gegen ihren aufkommenden Frust an, während ihre
Gedanken fünf Jahre zurück wanderten.
Markus arbeitete noch in Eisenach, als sie durch seinen Freund
und Kollegen Jens von seinen massiven Alkoholproblemen erfuhr. Das heißt, wenn
sie ehrlich zu sich war, wusste sie es damals bereits. Aber sie hatte die
Anzeichen dafür mehr oder weniger ignoriert und die Auseinandersetzungen mit
Markus immer wieder „unter den Tisch gekehrt“.
Sie musste sich eingestehen, dass sie stets versucht hatte,
die Probleme zu verdrängen und eine „heile Welt“ zu präsentieren, anstatt sich
mit den Schwierigkeiten auseinander zu setzen. Wurde sie deswegen jetzt von
ihnen verfolgt?
Die Wochenenden, an denen Markus zuhause war, gingen vorbei.
Er war reizbar und vergesslich geworden, unkonzentriert und desinteressiert.
Sie wollte es einfach nicht wahrhaben, dass er alkoholsüchtig war, und er
selbst wies das Problem ganz weit von sich.
Sie war allein Zuhause, als Jens anrief.
Felix leistete gerade seine Wehrpflicht bei der Bundeswehr
ab, und Tanja war mit der Vorbereitung ihrer Abiturfeier beschäftigt.
Was Jens ihr damals am Telefon erzählte, hatte sie unsanft
auf den Boden der Tatsachen fallen lassen.
Markus war bereits von seinem Arbeitgeber mehrere Male wegen
Unzuverlässigkeit und fehlerhafter Arbeit abgemahnt worden. Einige Wochen zuvor
hatte man ihm mit einer Kündigung gedroht, wenn er nicht endlich einen Entzug
machen würde.
Er war zur Entgiftung in ein Eisenacher Krankenhaus gegangen
und hatte Jens gebeten, Sabine davon zu unterrichten.
Sie war aus allen Wolken gefallen und fühlte sich
hintergangen. Warum hatte Markus ihr das nicht selbst erzählt? Hatte er nur
noch so wenig Vertrauen zu ihr?
Oder hatten ihn Scham und Stolz daran gehindert?
Jens war der Meinung gewesen, dass Markus der Entgiftung nur
unter dem Druck der Firma zugestimmt hatte. Er selbst betrachte sich nicht als
Suchtkranker. Deshalb glaubte er auch – entgegen aller fachärztlichen Beratung
-, dass nach dem Krankenhausaufenthalt eine kurze ambulante Therapie und ein
paar Abende bei den Anonymen Alkoholikern ausreichend seien, um sein
Alkoholproblem in den Griff zu bekommen.
Markus wurde nach
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