Eine Socke voller Liebe
ranhalten, wenn wir in drei Wochen in Santiago sein wollen.“
„Ich denke schon, dass wir das schaffen können“, meinte
Andrea optimistisch.
„Aber heute laufen wir trotzdem nur bis zum Mittag und machen
uns dann einen faulen Sonntag. Den haben wir uns mehr als verdient.“
„Einverstanden. Aber jetzt möchte ich mir gerne die Kirche
des alten Pilgerhospizes ansehen.“
Andrea lief auf die Kirche zu und öffnete die Tür. Leise
Meditationsmusik klang den Eintretenden entgegen. Zwei dicke Sträuße herrlicher
Sommerblumen zogen sofort ihre Blicke auf sich. Blauer Rittersporn und weiße
Margeriten wetteiferten mit gelben und roten Dahlien, blauen Kornblumen und
dunkelroten Löwenmäulchen. Zarte Gräser und Blätter lockerten die bunte Pracht
auf und rankten über den Rand der hohen Bodenvasen, die vor einem dunklen
Holzaltar standen. Ebenso farbenfrohe kleine Sträuße schmückten die
Seitenaltäre. Ihr dezenter Blütenduft erfüllte den ganzen Kirchenraum.
Sabine setzte sich in eine Bank. Sie schloss die Augen und
hörte der Musik zu. Die beruhigenden Klänge des Largos lösten in ihr einen
wohligen Schauer aus. Sie spürte, wie ihr Körper sich mit neuer Energie füllte
und ließ sich hineinfallen in dieses gute Gefühl. Ihr Herz klopfte ein paar
Sekunden lang fast unangenehm stark, um dann genau so plötzlich wieder in einen
normalen Rhythmus zu fallen. Sie fühlte, wie sich Ruhe und Geborgenheit in ihr
ausbreiteten. In ihrem Herzen herrschten Friede und Harmonie. Sie war erfüllt
von tiefer Dankbarkeit und Glück.
Tränen drängten sich unter ihren geschlossenen Lidern hervor
und liefen langsam über ihre Wangen. Sie bemerkte es nicht. Sie war in einer
Meditation versunken, und es war, als bliebe die Zeit für sie stehen.
Leise betete sie: „Mein Gott hilf mir, diese Dankbarkeit zu
bewahren.“
Langsam öffnete sie die Augen und sah zu Andrea hinüber.
„Dies ist ein wunderschöner Ort“, hauchte sie leise und
umarmte die Freundin. Auch sie hatte feucht glänzende Augen.
Die Frauen verließen die Kirche und setzten sich in der
kleinen Bar gegenüber unter einen Sonnenschirm, um die Gefühle ausklingen zu
lassen und etwas Erfrischendes zu trinken.
Sabine suchte nach Worten, um ihrer Freundin das soeben
Erlebte mitzuteilen, als Andreas Handy leise summte. Sie stand auf, lief lesend
auf und ab und tippte eine kurze Nachricht zurück, bevor sie sich wieder
setzte.
„Das war Karl-Heinz.“
„Und? Hatte er dir etwas Wichtiges mitzuteilen?“
„Nein. Ich glaube, er wollte sich nur mal in Erinnerung
bringen, und hat mir geschrieben, dass er in Gedanken jeden Tag bei mir ist.“
„Und du? Denkst du auch oft an ihn?“
„Am Anfang ja. Aber je länger wir unterwegs sind, umso
seltener denke ich an ihn und sein Angebot.“
„Dann kam seine SMS ja gerade zur rechten Zeit.“
„Quatsch!“, reagierte Andrea unverhältnismäßig barsch.
„Entschuldigung, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Ist schon gut“, sagte Andrea, nahm ihren Sonnenhut ab und
raufte mit beiden Händen durch ihre kurzen Haare, wie sie es oft machte, wenn
sie verunsichert war. „Ich weiß ja, dass das alles lieb gemeint ist. Aber warum
müssen Männer eigentlich immer so drängeln?“
„Er hat doch jetzt gar nicht gedrängelt, sondern dir nur
einen lieben Gruß geschickt.“
„Ich fühle mich dadurch aber an seine Frage erinnert und
seine Bitte, mit einer Entscheidung zurückzukommen. Und das ist Drängelei! Und
das kann ich auf den Tod nicht ausstehen! Und hier auf dem Jakobsweg schon gar
nicht!“
„Hast du ihm das geschrieben?“
„Geschrieben?“, Andrea lachte kurz auf, „nein, geschrieben
habe ich: Danke. Gruß Andrea. Soll er sich denken, was er will.“
„Vielleicht freut er sich, dass du ihm überhaupt sofort
geantwortet hast“, sagte Sabine nachdenklich, „es ist schon seltsam, wie oft
wir Dinge tun, nur weil wir glauben, der andere erwartet sie von uns, und wir
wollen ihn nicht enttäuschen.“
„So ein Stuss!“, Andrea war sichtlich genervt, „ich habe ihm
nicht geantwortet, weil ich irgendwelche Erwartungen von ihm erfüllen wollte.
Außerdem glaube ich, dass es schnurzpiepegal ist, was der andere erwartet,
solange man das tut, was man selbst für richtig hält.“
„Ich weiß von mir schon, dass ich manchmal Dinge tue, um
gefühlte Erwartungen anderer zu erfüllen“, Sabine machte eine Gedankenpause und
trank einen großen Schluck Orangensaft, „aber warum eigentlich?“
„Weil
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