Eine Socke voller Liebe
Fußweg zog sich neben der Fahrbahn her. Die
Straße war kurvenreich und - wie sie zu ihrem Entsetzen feststellten - sehr
stark befahren. Personenkraftwagen und Laster kamen ihnen in einer schier
endlosen Schlange entgegen.
Der Fußweg, auf dem sie sich einigermaßen sicher gefühlt
hatten, hörte abrupt auf. Die Bordsteinkante wich einer weißen Markierung. Aber
immer noch wurden die Fußgänger durch eine dicke Leitplanke vor den entgegen
kommenden Fahrzeugen geschützt.
Doch irgendwann endete dieser Schutz. Jetzt gab es keine
Markierung und keine Fahrbahnbegrenzung mehr. Neben der Straße fiel ein
steiler, bewaldeter Hang abwärts. In der Tiefe plätscherte ein breites Bächlein
munter dahin.
„Na, das ist ja lebensgefährlich hier“, rief Sabine ihrer
Freundin zu und beschleunigte ihre Schritte, „ich renne jetzt, so schnell ich
kann.“
Sie biss die Zähne zusammen, hielt die Gurte ihres Rucksackes
mit beiden Händen fest und startete einen Dauerlauf. Andrea joggte mit
schmerzverzehrtem Gesicht hinter ihr her und schickte ein Stoßgebet nach dem
anderen zum Himmel, während große und kleine Fahrzeuge an ihnen vorbeirasten.
„Das war ja wohl das Allerletzte!“, entrüstete sich Sabine schnaufend,
nachdem sie in eine schmale Dorfstraße eingebogen war.
„Aber dafür sind wir jetzt an einem idyllischen Plätzchen“,
beschwichtigte Andrea ihren Unmut.
Der Weg neben dem Bach führte sie zu einem kleinen Haus. Die
knarrende Eingangstreppe roch nach frischer Farbe. Die alten Wände waren
buckelig und schief und vom schmalen Holzbalkon rankten bunte Blumen in Fülle.
Eine junge Frau, die ein Baby auf dem Arm trug, begrüßte sie
und zeigte ihnen den Schlafraum, in dem acht Stockbetten standen.
Nachdem sie ihre Rucksäcke abgestellt hatten, fragte Sabine:
„Kommst du mit mir zuerst an den Bach?“
„Eine gute Idee, um die heiß gelaufenen Füße abzukühlen“,
antwortete Andrea, „ich habe übrigens das Gefühl, dass sich an meinem rechten
Fuß eine Blase gebildet hat.“
„Was, jetzt noch? Nach so langer Wanderzeit hätte ich eher
Schwielen vermutet“, fragte Sabine erstaunt.
Es roch stark nach Pfefferminz, als sie über eine grüne Wiese
hinunter zum Bach liefen. Die Kräuter wucherten hier mit den Gräsern um die
Wette. Sabine hatte sich sofort ihrer Schuhe entledigt und balancierte bereits
vorsichtig über die glitschigen Steine, als Andrea kritisch das kugelige
Gebilde an ihrer rechten Ferse in Augenschein nahm.
„Die muss ich mir nachher verpflastern“, stellte sie fest,
„aber ich finde es auch komisch, dass ich nach so vielen Kilometern noch eine
Blase bekomme.“
Dann watete auch sie durch das kalte Wasser. „Brrrr, ist das
kalt. Mir sterben gleich die Füße ab.“
„Aber es tut gut. Findest du nicht?“
„Na ja, schon, aber mir reicht‘s.“ Andrea stapfte bald wieder
ans Ufer und ließ sich mit einem Plumps ins Gras fallen. Sie legte sich hin,
verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schaute in den Himmel.
Sabine seufzte tief, sog genüsslich die würzige Luft ein und
genoss das Hochgefühl, das langsam die Erschöpfung verdrängte. Dann legte sie
sich neben Andrea und beobachtete ebenfalls die weißen Wölkchen, die langsam am
Himmel entlang zogen.
Am Abend saßen die Freundinnen mit sechs Pilgern gemeinsam am
großen Holztisch und ließen sich die Linsensuppe mit Chorizo schmecken, die
Felipe gekocht hatte. Felicita hatte zum Nachtisch einen Nusskuchen gebacken.
Der Hospitalero erzählte, dass er vor wenigen Jahren seinen
stressigen Beruf aufgegeben hatte, um jetzt mit seiner jungen Frau und seiner
kleinen Tochter hier zu leben.
Er war glücklich mit dem bescheidenen Leben als Betreuer
müder Pilger, das er im Sommer führte, und das ihm reichlich Stoff für die
Bücher lieferte, die er im Winter schrieb.
Ob es für ihn hier, wo man nur das ewige Plätschern des
Baches und das Zirpen der Zikaden hörte, wohl einfacher war, sich dem Guten und
Schönen zuzuwenden und für all das dankbar zu sein, als bei seinen vielen
Reisen um die Welt?, fragte sich Sabine, als sie am späten Abend in ihrem Bett
lag. Dann schlief sie ein.
Beschwingt klettert sie neben Markus eine Felswand hoch.
Sie ist angeseilt und bester Laune. Markus ist als erster oben und reicht ihr
seine Hand. Sie haben gemeinsam den Gipfel erreicht .
Ihr Triumphgefühl bekommt jedoch einen leichten Dämpfer,
als Markus sagt: „Ich habe übrigens deinem Schuldirektor gesagt, er soll die
Finger von dir
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