Eine Socke voller Liebe
Kirchenbänke
ersetzten.
Die ärmlichen Häuser in den kleinen Weilern, durch die der
Camino heute führte, waren fast alle liebevoll mit bunten Petunien geschmückt.
Ihre Pracht verdeckte die renovierungsbedürftigen Hauswände.
Die Pilgerinnen blieben belustigt vor einem Stall stehen, aus
dessen Eingang eine verrostete Waschmaschine schaute, deren Löcher und
Öffnungen allesamt üppig blühenden Pflanzen ein außergewöhnliches Zuhause
gaben.
„Die Spanier zeigen uns, wie wenig es bedarf, um auch einer
verfallenen Fassade ein freundliches Gesicht zu geben“, stellte Sabine fest und
fuhr nach einigen Minuten mit ihren Überlegungen fort: „Ich glaube, wir haben
uns in einigen Teilen unserer westlichen Welt inzwischen zu einer Gesellschaft
entwickelt, in der es vielen Menschen nur noch um Konsum geht. Die einfachen
Dinge des Lebens werden gar nicht mehr wahrgenommen. Die junge Generation wird
vollgestopft mit immer mehr Kicks und Highlights und mit einem vom Markt
gewollten Bedürfnis, das in Wirklichkeit gar nicht besteht.“
Andrea ging auf die Gedanken ihrer Freundin ein: „In der
Schule haben wir das Wort Bedürfnis so definiert: ‚Ein Bedürfnis ist das
Empfinden eines Mangels, verbunden mit dem Wunsche, diesen Mangel zu
beseitigen‘. Ich wundere mich manchmal, was manche Menschen alles als Mangel
empfinden, weil es ihnen die Werbung oder ihr Umfeld so einimpfen.“
Sie wanderten langsam nebeneinander bergauf, während sie
intensiv diskutierten.
„Ich stelle immer wieder bei meinen Schülern fest“, sagte
Sabine, „wie schwer es ist, ihre Aufmerksamkeit für ganz elementare Dinge wie
Eigenverantwortung, Disziplin und soziales Verhalten zu wecken. Dafür wird
nämlich keine Werbung gemacht. Dabei ist es doch so wichtig zu lernen, dass man
an sich selbst arbeiten muss und nicht alles kaufen kann, was zufrieden und
glücklich macht.“
Andrea stimmte ihrer Freundin zu. „Ich finde es beängstigend,
wie sich bei manchen Menschen etwas Grundsätzliches in der Denkweise verändert
hat. Sie legen ihre Hände in den Schoß und suchen erst einmal für alles und
jedes einen anderen, den sie verantwortlich machen können. Die Erzieher und
Lehrer werden für die Entwicklung der Kinder verantwortlich gemacht, die
Versicherung ist für ihre Unachtsamkeit da, der Pfarrer für eine Kirche voll
Gläubiger, Kommunen und Regierungen für ein ruhiges Leben in Sicherheit und
Ordnung, Ärzte und Pharmaindustrie für die Gesundheit.“
„Diese Menschen geben immer mehr Verantwortung aus ihrer
eigenen Hand, und kommen gar nicht auf die Idee, dass sie selbst etwas ändern
könnten. Sie wollen nur konsumieren. Viele sitzen auf ihren dicken Hintern,
wenn sie in eine Schieflage geraten sind und warten, dass jemand kommt und sie
wieder gerade rückt.“ Sabine gestikulierte mit ihren Händen in der Luft herum.
„Sie kommen gar nicht auf den Gedanken, dass es bereichernd
sein könnte, eigene Ideen zu haben und diese zu verfolgen“, unterstützte Andrea
ihre Gedanken.
„Das ist es ja gerade! Sie bekommen doch alles vorgesetzt und
verlernen, ihre eigenen Fähigkeiten zu schulen und zu gebrauchen!“, ereiferte
sich Sabine. „Die moderne Medien- und Computertechnik bietet so viel an, dass
Otto Normalverbraucher langsam zu ihrem Sklaven mutiert. Ich möchte wetten,
dass es junge Leute gibt, die die Himmelsrichtungen schon nicht mehr kennen und
nicht wissen, ob Hamburg oder München im Süden Deutschlands liegt, weil sie das
ihrem Navi überlassen. Warte ab, vielleicht verlernen die Menschen sogar
irgendwann das eigene Schreiben, weil alles per Tastatur und Mausklick geht,
und das Hirn nur noch von mehrdimensionalen Bildschirmen angeregt wird, die
irgendein Despot steuert.“
„Jetzt malst du aber ein Horrorszenario aus“, beschwichtigte
Andrea die Freundin.
„Naja“, lachte diese, „vielleicht habe ich ja ein bisschen
übertrieben, aber durch das Internet wäre so etwas doch durchaus möglich.“
Andrea wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus dem
Gesicht. „Viel gefährlicher finde ich es, den Sinn des Lebens nur im ständigen
Wirtschaftswachstum und dem damit verbundenen Gewinn zu suchen. Dem immer mehr,
immer größer, immer weiter. Aber ich gehe davon aus, dass auch diejenigen, die
das tun, eine Entwicklung durchmachen und irgendwann eine Leere in sich spüren,
die mit Sinn und Verstand ausgefüllt werden muss. Und ich glaube doch, dass wir
alle irgendwo tief drin in uns wissen, dass das Sein
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