Eine Socke voller Liebe
genauso aussah wie zu Hause
in Rheinhessen.
Vor der Garage eines kleinen Bauernhauses, die liebevoll als
Rastplatz für vorbeiwandernde Pilger eingerichtet war, trafen sie Geraldine.
Sie saß unter einem Baum, während ihre bloßen Füße mit den kleinen Steinen auf
der Erde spielten. Auf ihrem Schoß lagen die Laufschuhe. Verzweifelt versuchte
sie, ein breites Klebeband rund um die Schuhe zu ziehen.
„Hallo Geraldine, was machst du denn da?“, begrüßte Andrea
sie.
„‘ola, ihr zwei! Meine Schuehboden ist durchgebrochen, und
ich muss kleben“, lamentierte sie.
„Okay, du meinst die Schuhsohlen?“, fragte Andrea und sah
sich die Sportschuhe genauer an, in deren Sohlen ein Riss klaffte. „Warte, ich
helfe dir.“ Andrea hielt die Schuhe und Geraldine zog das Klebeband fest.
„So, das ist fertisch!“, stellte sie erleichtert fest, als
beide Schuhe fest umwickelt waren, „das muss ‘alten!“
Dann schlüpfte sie wieder hinein und hüpfte von einem Fuß auf
den anderen. „Isch glaube, das ist sehr stabil“, stellte sie lachend fest,
„damit kann ich den camino duro gehen.“
„Den wollen wir auch laufen“, sagte Andrea, „aber jetzt
brauche ich erst etwas Kaltes zu trinken.“
Sie setzten sich zu Geraldine an den Tisch und freuten sich
über den alten Mann, der sie freundlich bediente, und ihnen stolz erklärte,
dass die vielen Fotos an den Wänden seiner umgebauten Garage alle von seinen
Kindern und Enkeln seien.
Gemeinsam verließen die drei Peregrinas den einfachen
Jakobsweg, um gemeinsam den „schweren Weg“ zu gehen, der atemberaubende
Landschaften versprach. Er begann mit einem sehr steilen Aufstieg, und sie
blieben oft stehen, um zu Verschnaufen und die schönen Ausblicke zu genießen.
Nach mehr als einer Stunde Anstrengung und viel Schweiß
wurden sie belohnt. Heidekraut und niedrige Sträucher blühten hier oben weiß,
rosa, violett und gelb zwischen zarten Gräsern. Sie säumten abwechselnd mit
kleinen, verknorzelten Eichen und bemoosten Felsbrocken den schmalen, steinigen
Pfad. Der weite Blick auf die vielen runden Bergketten am Horizont war
faszinierend.
Bei so viel Schönem hatte Andrea plötzlich das Bedürfnis,
ihren Gefühlen Raum verschaffen zu müssen. Sie schmetterte laut und inbrünstig
Händels „Halleluja“ über die Berge.
„Sonst wäre ich geplatzt“, entschuldigte sie sich
anschließend.
„Du ‘ast sehr schön gesungen“, lobte Geraldine und schlug
vor:
„Vielleicht können wir zusammen eine andere Lied singen?“ Sie
stimmte ein Chanson an:
„Il y aura cent mille chansons. Quant viendra
le temps des cent mille saisons…”
Andrea erkannte das französische Lied sofort und sang in
Deutsch:
„…denn Wunder gescheh‘n seid ich dich geseh’n und alles wird
schön durch die Liebe. Alle Blumen blüh‘n nur für mich, alle Sterne glüh‘n nur
für mich in unendlicher Pracht. Traumschöner Zauber der Nacht, und aus dem
funkelnden Schein schweben Gedanken zu zwei‘n, dringen ins Herz mir hinein, und
es singt und es klingt meine Liebesmelodie. Ein Chanson klingt leise in mir, und
die Melodie, sie erzählt nur von dir….“
Andrea war ganz bei sich und ihren Gefühlen. Sie schmolz dahin
mit ihrem eigenen Gesang. Die zärtliche Melodie und der Text drückten ihre Sehnsucht
aus und berührten sie. Sie kostete jeden Ton des Liedes aus. Für einen Moment
war ihr, als ob die Welt um sie herum in der Musik versinken würde, und sie
blieb ein wenig hinter den anderen auf dem Weg zurück.
Immer weiter ging es bergauf. Wenig später sangen sie
abwechselnd französische Chansons und deutsche Schlager. Die Musik beschwingte
sie, machte gute Laune und erleichterte das Laufen.
Eine Stunde später lud sie das schattige Plätzchen vor einer
Bar zu einer Pause ein. In dieser einsamen Gegend hatte jemand scheinbar sein
Herz für die Peregrinos entdeckt.
Die Frauen saßen so, dass ihr Blick auf einen Zeltplatz fiel,
der von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben war. An einem Pfahl wiesen bunte
Plakate auf Ayurveda-Massagen und Meditationen hin.
Das kleine, alte Häuschen neben der großen Wiese sah
irgendwie verwunschen aus mit seinem sommerlichen Blumenschmuck, den
windschiefen Fensterläden und der bröckelnden Fassade. Viele kleine, bunte
Kissen lagen einladend auf einem Korbstuhl. Von einem Garderobenhaken
flatterten farbige Tücher nach draußen. Durch die weit geöffnete Tür strömte
ein betörender Duft von tausend Kräutern und Ölen.
Ein athletisch
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