Eine Socke voller Liebe
gebauter Mann, mittleren Alters schritt
langsam aus dem Haus, blickte nach rechts und links und stolzierte dann wie ein
Gockel um das ganze Anwesen herum. Die leicht ergrauten langen Haare, die er zu
einem Pferdeschwanz gebunden hatte, lagen auf seinem nackten, von der Sonne
gebräunten Rücken. Er trug nur eine knallenge Jeans und zeigte stolz seine
muskulöse, kahle Männerbrust.
Scheinbar achtlos schlenderte er an den Frauen vorbei und
warf ihnen einen neugierigen Blick zu, bevor er grüßte.
„Ich glaub’s ja nicht“, lachte Sabine, „wo sind wir denn hier
gelandet?“
„Ich würde mich ja liebend gerne von diesem schönen Menschen
massieren lassen“, schwärmte Andrea mit einem eindeutigen Unterton in der
Stimme, während sie versuchte, sich das Lachen zu verkneifen.
„Das kann ich mir denken.“
„Aber der ist bestimmt für Wochen ausgebucht.“
„Was meinst du, wenn der dir eine Ayurveda-Massage verpasst,
dann brauchst du sonst nichts mehr.“
„So sieht’s aus.“
Sie prusteten vor Lachen und hielten sich den Mund zu, um
nicht unangenehm aufzufallen.
„Schau nicht so zu dem Schönling hin, sonst merkt er noch,
dass wir über ihn lachen und wird böse.“
„Und dann haut er uns vielleicht ein Ölläppchen um die
Ohren“, kicherte Sabine.
„Und davon kriegen wir dann ganz fettige Haare. Nein, nein,
das sieht nicht schön aus.“
„Also gehen wir lieber weiter, damit kein Unglück passiert.“
Geraldine lachte, schwieg und wunderte sich über ihre
albernen, älteren Mitpilgerinnen.
Als sie, immer noch erheitert, an dem schnuckeligen Haus
vorbei kamen, hatte sich der „Schönling“ auf einer Bank niedergelassen und musterte
die drei Frauen von oben bis unten.
Freundlich sagte er, mit stark spanischem Akzent: „Es freut
mich, dass ich euch so gut gefalle und wünsche einen buen camino.“
Sabine war so perplex, dass sie den Gruß leicht stotternd
erwiderte. Andrea dagegen bog sich vor Lachen. Ihr Heiterkeitsausbruch hielt
durch den ganzen riesigen Kastanienwald an, bis es steil bergab ging. Ihrem
Knie gefiel dieser Abstieg gar nicht gut, und das verdarb ihr ein wenig die
gute Laune.
Die erst vor ein paar Stunden so mühsam erklommenen
dreihundert Höhenmeter mussten jetzt wieder abgestiegen werden. Sabine war
froh, dass sie die Besenstiele hatte, denn ihr Knöchel „meckerte“ ebenfalls.
„Wenn ich hier heile herunter komme, sing ich euch mal
das ‚Halleluja‘ vor“, versprach sie.
Vorsichtig kraxelten sie eine unendlich lange Zeit
hintereinander her, nicht ohne laut zu stöhnen und sich gegenseitig zu
bedauern.
Plötzlich stieg ihnen der Geruch von verbranntem Holz in die
Nase. Auf einigen hundert Quadratmetern standen schwarze Baumstümpfe und
Sträucher. Ein trostloser und trauriger Anblick.
Der Geruch weckte in Sabine eine unschöne Erinnerung.
Eine Nachbarin hatte sie damals in der Schule angerufen,
nachdem sie die Feuerwehr alarmiert hatte. Der schwarze Qualm, der aus dem
geöffneten Küchenfenster quoll, hatte sie dazu animiert. Markus hatte Nudeln in
kochendes Wasser geschüttet und war in den Keller gegangen. Dort hatte er dann
offenbar die Nudeln sofort vergessen, weil er keinen Hunger mehr auf feste
Nahrung hatte…
Sabine atmete einige Male tief ein und aus und verabschiedete
sich von dieser Geschichte. Vorbei!
Hinter dem verkohlten Waldstück war der Abstieg des „camino
duro“ zu Ende.
Einen Moment lang zweifelten die Frauen, ob sie hier richtig
waren. Die gelben Pfeile wiesen den Weg über einen großen Parkplatz für
Lastwagen und an einer Tankstelle vorbei in den Ort. Der Weg führte sie zu
einer Herberge.
Das Haus war ordentlich. Aber sonst? Die vorbeifahrenden
schweren Transporter donnerten über die Straße. Der Lärm war nicht zu überhören.
Die Wirtin erzählte ihnen, dass die Lastwagen für eine Woche
wegen einer Baustelle hierher umgeleitet würden.
Bei einer kalten Cola überlegten Andrea, Sabine und Geraldine
was zu tun war. Die nächste Herberge war immerhin noch vier Kilometer entfernt.
Mit wehem Fuß und Knie konnte diese Strecke recht lang werden.
Geraldine beschloss, hier zu bleiben.
Die Freundinnen jedoch lockte die Aussicht auf ein ruhiges,
schnuckeliges Refugio an einem Bach. „Das schaffen wir noch. Schließlich gibt
es keine Steigungen und keine Schotterwege mehr. Der Weg dorthin führt nur an
der Straße entlang.“
Sie motivierten ihren noch verbliebenen Rest Elan und liefen
zurück auf die Straße. Ein schmaler
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