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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
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ihre Zukunftsmöglichkeiten verzichten? Unsinn! Im
Gegenteil. Mrs. Paget glaubte ihre Tochter in Malaya weit sicherer als in
England. Und so flog Joan im Winter des Jahres 1939 nach Malaya.
    Über achtzehn Monate hatte sie dort das
schönste Leben. Ihre Arbeitsstätte befand sich gleich neben dem
Sekretariatsgebäude, einem imponierenden Bau, mit dessen Einrichtung man
einstmals die Macht des britischen Herrn, des «Raj», zu dokumentieren gedachte.
Es nahm fast die ganze Längsseite des Hauptplatzes ein. Gegenüber befand sich
der britische Klub mit dem Kricketplatz, auf der andern Seite erhob sich eine
typisch englische Dorfkirche.
    Man lebte hier ein sehr englisches
Leben mit allen kolonialen Annehmlichkeiten: viel Muße, viel Spiel, viel Tanz,
viele Gesellschaf — ten und Bedienung, was alles das Dasein aufs angenehmste
verschönte. Die ersten Wochen wohnte Joan im Hause eines Direktors der Company,
später in der Privatpension «Tudor Rose», deren Inhaberin, eine ältere
Engländerin, an den jungen Bürodamen Mutterstelle vertrat.
    «Es war zu schön, um wahr zu sein»,
sagte Miss Paget. «Kein Tag verging ohne Fest oder Tanz. Kaum daß man Zeit
fand, auch nur einen Brief nach Hause zu schreiben.»
    Als es zum Krieg mit Japan kam, sah sie
darin so wenig wie irgend jemand aus ihrem Kreis eine Gefahr für sich. An den
Abendunterhaltungen in Kuala Lumpur änderte sich nichts. Das einzige war, daß
die jungen Männer nicht mehr ins Büro brauchten und in Uniform auftraten, was
als reizvolle Abwechslung empfunden wurde. Selbst als die Japaner im Norden der
Halbinsel landeten, sah man darin noch keine Bedrohung Kuala Lumpurs.
Dreihundert Meilen Gebirge und Dschungel genügten wohl, einer Invasion von
Norden her den Riegel vorzuschieben. Die Versenkung der Schiffe «Prince of
Wales» und «Repulse» war gewiß eine Katastrophe. Doch was bedeutete sie für
eine Neunzehnjährige, die eben den ersten Heiratsantrag abgelehnt hatte?
    Bald darauf wurden die verheirateten
Frauen und die Kinder nach Singapore evakuiert, wenigstens theoretisch. Erst
als die Japaner mit raschen Einkreisungen durch Dschungel, die keine Truppe
vordem durchdrungen hatte, in südlicher Richtung vorstießen, bekam die Sache
ein ernstes Gesicht. Es kam ein Morgen, an dem Joans Vorgesetzter, ein Mr.
Merriman, sie in sein Büro rief und ihr kurz mitteilte, daß das Geschäft
schließe. Sie solle einen Handkoffer packen, zum Bahnhof gehen und mit dem
ersten besten Zug nach Singapore fahren. Er gab ihr den Namen des dortigen
Vertreters der Firma und eine Adresse am Raffles Place, wo sie die Schiffskarte
nach England in Empfang nehmen könne. Die fünf andern Büroangestellten
erhielten die gleiche Weisung.
    Die Japaner standen um diese Stunde,
wie es hieß, unweit Ipoh, etwa hundert Meilen nordwestlich Kuala Lumpur. Der
Ernst der Situation lag nun für alle offen zutage.
    Joan eilte zur Bank, hob ihr ganzes
Geld, etwa sechshundert Straits-Dollar, ab, ging aber nicht zum Bahnhof. Ob ihr
der Gang dorthin etwas genutzt hätte und sie nach Singapore gelangt wäre, ist
zweifelhaft. Auf der Strecke verkehrten nur noch Militärtransportzüge. In einem
Auto hätte sie möglicherweise das Ziel erreicht. Statt dessen fuhr sie in einem
Eingeborenen-Bus nach Batu Tasik, um Mrs. Holland zu besuchen.
    Batu Tasik liegt etwa zwanzig Meilen
nordwestlich Kuala Lumpur. Mr. Holland war Direktor einer Zinngrube und etwa
vierzig Jahre alt. Sein Haus, ein hübscher Bungalow, stand in der Nähe der
offenen Mine. Dort wohnte er mit seiner Gattin Eileen und ihren drei Kindern:
dem siebenjährigen Freddie, der vierjährigen Jane und dem zehn Monate alten
Robin. Eileen Holland war eine mütterliche, behäbige Frau zwischen Dreißig und
Fünfunddreißig. Sie und ihr Mann waren nur selten zu Tanz- oder
Gesellschaftsabenden gegangen; das lag ihnen nicht. Sie blieben lieber in Ruhe
daheim. Joan war bald nach ihrer Ankunft von ihnen eingeladen worden, hatte
sich in ihrem Haus sehr wohl gefühlt, war etliche Male wiedergekommen und hatte
sich nach einem leichten Anfall von Denguefieber acht Tage bei ihnen erholt.
    In Kuala Lumpur hatte sie am Tage zuvor
gehört, Mr. Holland sei mit seiner Familie am Bahnhof gewesen, habe aber keinen
Zug mehr erwischt, und sie seien wieder nach Hause gefahren. Joan fand, ohne
‹ vorher mit Hollands zu sprechen, könne sie das Land nicht verlassen; sie
war gern bereit, Mrs. Holland bei den Kindern zu helfen, denn Eileen war zwar
eine gute Mutter und

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