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Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice
Autoren: Neville Shute
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Musik am liebsten in Form von Opern, je
leichter, je lieber. Wenn Klänge des Orchesters an ihr Ohr drangen, mußten ihre
Augen etwas zu sehen haben. Als es Frühling wurde, fuhren wir auch nach Kew
Gardens.
    Diese Exkursionen führten sie auch
einige Male in meine Wohnung am Buckingham Gate und dort sogleich in die Küche,
wo sie nach unserm Kunst- und Naturgenuß gern einen guten Tee bereitete. Außer
meinen Schwiegertöchtern, die zuweilen, wenn sie nach London kamen, in meinem
Gästezimmer übernachteten, war in dieser Wohnung noch nie eine Dame bei mir
gewesen.
    Im März war Joan Pagets
Erbschaftsangelegenheit unter Dach, und sie erhielt ihren ersten Scheck. Ihre
Stellung gab sie nicht auf. Regelmäßig wie immer ging sie in ihr Büro. Sie
hatte die kluge Absicht, ihre Monatseinkünfte, ehe sie davon zehrte, zunächst
zu einem kleinen Kapital anwachsen zu lassen. Auch wußte sie immer noch nicht,
was sie eigentlich anfangen solle.
    So standen die Dinge Anfang April. Für
den ersten Sonntag hatte ich einen hübschen Plan entworfen. Joan sollte bei mir
zu Mittag essen, und danach wollte ich ihr Hampton Court zeigen, wo sie noch
nie gewesen war. Denn ich dachte, das alte Schloß und der junge Blumenflor
würden ihr gefallen, und hatte mich schon seit Tagen auf unsern Ausflug
gefreut. Und dann, dann regnete es natürlich!
    Patschnaß kam sie in ihrem blauen
Regenmantel mit triefendem Schirm um die Mittagszeit an. Ich tat das nasse Zeug
in die Küche, während sie sich im Gästezimmer in Ordnung brachte. Und dann
standen wir zusammen auf meiner Glasveranda, schauten hinaus, sahen den Regen
drüben die Schloß-Stallungen betrommeln und überlegten, was wir am Nachmittag
anfangen sollten.
    Während des Essens wußten wir es noch
nicht. Auch als wir uns zum Kaffee ans Kaminfeuer setzten, waren wir uns nicht
schlüssig geworden. Ich hatte einiges vorgeschlagen, aber sie schien etwas
anderem nachzusinnen. Bei der zweiten Tasse Kaffee rückte sie damit heraus.
    «Mr. Strachan, ich bin jetzt
entschlossen und weiß, was ich tun möchte.»
    «Oh! Und das wäre?» fragte ich
erwartungsvoll und erfreut.
    Sie zögerte mit der Antwort. «Ich
fürchte, Sie werden es für verrückt halten, dafür Geld auszugeben, aber — ich
will es nun einmal. Ich habe mir gedacht, es ist besser, ich sage es Ihnen,
bevor wir ausgehen.»
    Es war so gemütlich warm am Kamin.
Draußen der Himmel war dunkel verhängt, und der Regen flutete über das
Pflaster.
    Ich antwortete: «Aber gewiß nicht,
liebe Joan; warum sollte ich es für verrückt halten? Wozu haben Sie sich nun
entschlossen?»
    Da sagte sie: «Mr. Strachan, ich will
zurück nach Malaya und dort einen Brunnen graben.»
     
     
     

Zweites Kapitel
     
     
    Ich glaube mich zu erinnern, daß ihrem
Ausspruch ein längeres Schweigen folgte. Ich war ziemlich verdattert. Was hätte
ich tun sollen? Den Mund halten schien mir die einzige Möglichkeit.
    Sie aber empfand dies anscheinend als
Vorwurf. Sie neigte sich zu mir herüber und sagte verlegen:
    «Ich weiß: Es klingt komisch... Darf
ich Ihnen etwas erzählen?»
    «Sicher», sagte ich.
    «Ich habe Ihnen bisher noch nie davon
erzählt. Nicht etwa aus Scheu oder Angst; ich denke ja kaum mehr daran. Das
alles ist so in die Ferne gerückt; es ist wie etwas, das jemand anderm geschah,
vor vielen Jahren... wie etwas, wovon man in einem Buche liest. So, als wäre es
gar nicht gewesen.»
    «Ist es nicht besser, man läßt es
dabei?»
    «Jetzt nicht mehr», sagte sie ruhig,
«jetzt, da ich das Geld habe... und Sie sind so gut zu mir! Ich möchte, daß Sie
mich verstehen.»
     
    Ihr Leben, so drückte sie sich aus, sei
in drei Teile zerfallen, und die beiden ersten seien von ihrem gegenwärtigen Dasein
so losgetrennt, daß man sie gar nicht damit in Einklang zu bringen vermöge. Der
erste Teil war ihr Leben als Schulkind bei ihrer Mutter in Southampton. Sie
bewohnten mit ihrem Bruder Donald ein Häuschen in der Vorstadt, drei
Schlafzimmer und eine Küche. Vorher hatten sie alle zusammen in Malaya gelebt.
Als Joan elf und Donald vierzehn Jahre zählte, waren sie von dort weggezogen,
und die Erinnerungen an jene Zeit waren verblichen. Der Vater war in Malaya
geblieben; dort war er ja auch verunglückt.
    Die Kinder führten das ruhige Leben
englischer Vorstadtkinder. Schule, Ferien und Feiertage wechselten angenehm ab,
und den Höhepunkt bildeten die drei Augustwochen, die sie alljährlich auf der
Insel Wight in Seaview oder Freshwater zubrachten. Nur
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