Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Stadt wie Alice

Eine Stadt wie Alice

Titel: Eine Stadt wie Alice Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neville Shute
Vom Netzwerk:
geprallt; er hatte offenbar geschlafen. Seine Witwe, Jane
Paget, war schon ein Jahr vorher nach England zurückgekehrt und hatte in
Bassett bei Southampton ein Häuschen gemietet, damit die Kinder endlich wieder
ein Heim, und zwar nahe bei ihrer Schule, hätten. Das war durchaus vernünftig;
nur schade, daß Mr. Macfadden und seine Schwester nicht näher beisammen
wohnten. Er schien dies auch zu bedauern, denn im Lauf des Gesprächs kam er
mehrmals darauf zu sprechen.
    In seinem Testament, das er nun
abändern wollte, hatte er einfach bestimmt, sein ganzes Vermögen solle an seine
Schwester Jane Paget fallen.
    «Ich möchte grundsätzlich nichts daran
ändern», sagte er. «Sie müssen nur verstehen, Mr. Strachan, als ich diese
letztwillige Verfügung traf, hat mein Schwager Arthur noch gelebt. Daß ich sehr
alt werde, daran habe ich nie gedacht und daher als selbstverständlich
angenommen: wenn Jane mich einmal beerbt, wird ihr Mann ihre geschäftlichen
Interessen wahrnehmen.»
    Mein Klient hatte anscheinend die fixe
Idee, Frauen verstünden nicht, mit Geld umzugehen; er hielt sie für weltfremd,
leichtsinnig und daher für eine willkommene Beute von Abenteurern und
Mitgiftjägern. Er wollte seiner Schwester zwar den Ertrag des Vermögens
sichern, aber zugleich dafür sorgen, daß ihr Sohn, sein Neffe Donald, der
damals noch in die Schule ging, nach dem Ableben seiner Mutter das Kapital
unangetastet in die Hand bekäme. Juristisch bot dies keine Schwierigkeiten. Ich
schilderte Mr. Macfadden das Für und Wider der von ihm beabsichtigten Verfügung
und gab ihm auch zu verstehen, daß ein kleines Legat für Mrs. Doyle, bei der er
nun schon so lange wohnte, wohl angebracht sei, natürlich unter der
Voraussetzung, daß inzwischen keine Kündigung erfolge. «Einverstanden», sagte
er und fragte, ob ich bereit sei, sein Testamentsvollstrecker zu werden und die
treuhänderische Verwaltung des Nachlasses zu übernehmen, ein Amt, das für einen
alten Familienanwalt nichts Neues bedeutet. Ich bat ihn aber, im Hinblick auf
mein Alter außer mir noch einen Jüngeren zu betrauen. Auf meine Empfehlung hin
gab er mir unsern Juniorpartner Lester Robinson zur Seite und genehmigte eine
Gebührenklausel, wonach unsere Dienste in angemessener Weise zu honorieren
seien.
    Nun galt es nur noch, für alle
Eventualitäten des an sich unkomplizierten Testaments Sorge zu tragen. Was
sollte geschehen, falls seine Schwester stürbe, bevor der Junge volljährig
wäre? Ich riet für diesen Fall, daß die Vermögensverwaltung bis zu dessen
einundzwanzigstem Geburtstag bestehen bleiben und er dann das Ganze ohne
weitere Einschränkung erben solle. Auch damit war Mr. Macfadden zufrieden, und
ich notierte es mir.
    «Nun aber angenommen», sagte ich,
«Donald stirbt vor seiner Mutter, oder Sie, Mr. Macfadden, überleben beide? In
diesem Fall wäre das Töchterchen Joan die Erbin und die Vermögensverwaltung bei
ihrer Volljährigkeit zu Ende, nicht wahr?»
    «Sie meinen: wenn sie einundzwanzig
ist?»
    «Ja, ganz wie bei ihrem Bruder.»
    Er schüttelte den Kopf. «Entschuldigen
Sie, Mr. Strachan, aber das halte ich entschieden für unklug. So ein Kind kann
doch mit einundzwanzig Jahren noch kein Vermögen verwalten! In diesem Alter,
Mr. Strachan, ist eine Frau völlig ihren Gefühlen ausgeliefert, jawohl? Die
Vermögensverwaltung sollte viel länger dauern. Mindestens, bis sie vierzig
ist.»
    Zwar hatten mich manche Erfahrungen
gelehrt, daß ein Mädchen von Einundzwanzig noch etwas zu jung ist, um über ein
großes Vermögen frei zu verfügen, aber vierzig, das schien mir denn doch
übertrieben. Fünfundzwanzig, erklärte ich, sei wohl das richtige Alter, aber
davon wollte der Onkel nichts wissen. Sehr ungern ging er auf fünfunddreißig
herunter, aber kein Jahr weiter, und da ich merkte, daß er schon die Geduld
verlor und ihn Ermüdung befiel, akzeptierte ich dies als den äußersten Termin
für die Beendigung unserer Treuhänderschaft.
    Dies hieß also, daß die
Vermögensverwaltung in dem gedachten, recht unwahrscheinlichen Fall noch
einundzwanzig Jahre bestehen bleibe. Denn Joan war 1921 geboren, und wir
schrieben das Jahr 1935. Die Besprechung war damit zu Ende. Ich verabschiedete
mich, fuhr nach London, fertigte dort das Testament aus und sandte es ihm zur
Unterschrift.
    Es war das erste und letzte Mal, daß
ich diesem Klienten begegnete.
    Ich hätte mit ihm in Verbindung bleiben
und ihn wieder besuchen sollen. Seit vielen Jahren hatten meine

Weitere Kostenlose Bücher