Eine Stadt wie Alice
Sie wollten es erst nicht annehmen, und das war echt.
Er habe Kost und Logis jahrelang gut
und pünktlich bezahlt. Was sie sonst für ihn getan hätten, sei aus Freundschaft
geschehen. Sie hatten ihn herzlich gern gehabt. Und als ich an diesem
bitterkalten Januartag neben dem Grabe stand, tat es mir wohl, zu wissen, daß
Douglas nicht ohne Freunde gewesen war.
Das war also das Ende. Vom Friedhof
fuhr ich mit Doyles nach Hause, trank bei ihnen im Wohnzimmer neben der Küche
eine Tasse Tee, fuhr dann nach Glasgow und mit dem Nachtschnellzug von dort
nach London. Zwei Koffer mit Papieren und persönlicher Habe hatte ich bei mir.
Sollte die Suche nach dem Erben schwierig sein, so wollte ich alles in Muße
prüfen und mit dem übrigen Nachlaß dem Erben aushändigen.
Doch dessen Ermittlung bereitete keine
übertriebenen Schwierigkeiten. Innerhalb einer Woche war der junge Harris ihm
auf der Spur. Wir erhielten ein Schreiben von einer Miss Agathe Paget, der
Leiterin der Mädchenschule von Colwyn Bay. Sie war eine leibliche Schwester des
in Malaya verunglückten Arthur Paget und bestätigte, daß dessen Gattin, ihre
Schwägerin Jane, 1942 in Southampton gestorben war. Außerdem aber erfuhren wir
durch ihren Brief, daß auch der Sohn Donald nicht mehr am Leben sei. Er war in
Malaya in der Gefangenschaft umgekommen. Seine Schwester Joan aber sei aus den
Tropen zurückgekehrt und wohne in oder bei London. Die Schulleiterin wußte zwar
die Privatadresse nicht. Sie schreibe ihr immer ins Büro. Die Firma heiße: Peck
& Levy Ltd. Adresse: The Hyde, Perivale, London N. W.
Ich erhielt den Brief mit der
Morgenpost, durchflog ihn, erledigte dann die übrige Post, las ihn ein zweites
Mal, ließ mir von meiner Sekretärin die Akten Macfadden bringen, las auch das
Testament noch einmal durch, versenkte mich in meine Aufzeichnungen über den
Nachlaß und einige weitere Schriftstücke und schlug dann im Telefonbuch Peck
& Levy Ltd. nach, um zu sehen, in welcher Branche die Erbin tätig sei.
Und dann bin ich vom Schreibtischsessel
aufgestanden, ans Fenster getreten und habe hinausgeschaut auf die rauhe,
graue, unwirsche, winterliche Straße und nachgedacht. Denn ich scheue nichts so
sehr wie Voreiligkeit.
Hierauf ging ich hinüber in Lester
Robinsons Zimmer. Er war eben beim Diktieren. Ich wärmte mich am Kamin,
wartete, bis er fertig und seine Sekretärin draußen war, und sagte dann:
«Ich habe den Macfadden-Erben. Das wird
Harris interessieren.»
«Fein!» rief Lester. «Sie haben den
Sohn gefunden?»
«Nein. Die Tochter. Der Sohn ist tot.»
Lester verzog das Gesicht. «Dann sind
wir zwei also bis zu ihrem vollendeten fünfunddreißigsten Lebensjahr
Nachlaßverwalter?»
Ich nickte.
«Wie alt ist sie denn jetzt?»
Ich rechnete: «Etwa sechs- bis
siebenundzwanzig.»
«Alt genug, um uns eine ganze Menge
Aufregungen zu verursachen.»
«Allerdings.»
«Wo ist sie? Was treibt sie?»
«Sie ist Stenotypistin oder Sekretärin
bei einer Firma in Perivale, die Handtaschen fabriziert. Ich überlege mir
gerade, wie ich ihr die Sache mitteilen soll.»
Er mußte lächeln. «Wie der gute Pate im
Kinderbuch...»
«Genauso», versetzte ich, ging zurück
in mein Zimmer und dachte mir einen Brief aus. Es schien mir wichtig, daß die
erste Mitteilung in ernster Weise erfolge, und so schrieb ich:
Dear Madam,
mit tiefem Mitgefühl setzen wir Sie
davon in Kenntnis, daß Mr. Douglas Macfadden am 21. Januar dieses Jahres in Ayr
entschlafen ist. Als Vollstrecker seines letzten Willens hatten wir einige
Schwierigkeiten in der Ermittlung der Erbberechtigten. Sollten Sie die Tochter
der Eheleute Arthur Paget und seiner Gattin Jane, geborene Macfadden, ehedem
wohnhaft in Southampton, resp. Malaya sein, so dürfte diese Tatsache Sie zum
Antritt der Erbschaft berechtigen.
Wir bitten um Ihren Anruf, damit wir
eine Ihnen genehme Zeit für eine Rücksprache vereinbaren können. Zum Beweis
Ihrer Identität wäre im gegenwärtigen Stadium der Angelegenheit die Vorlage
Ihrer Geburtsurkunde und etwaiger anderer in Ihrem Besitz befindlichen
Ausweispapiere und Dokumente sehr wünschenswert.
Mit vorzüglicher Hochachtung für Owen,
Dalhousie & Peters
N. H. Strachan
Am folgenden Tag rief sie mich an. Sie
hatte eine recht angenehme Stimme und redete wie eine geschulte Sekretärin:
«Mr. Strachan, hier ist Miss Joan Paget. Ich habe Ihren Brief erhalten. Darf
ich fragen, ob Sie Samstagvormittag offen haben? Ich bin in Stellung; da würde
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