Eine Studie in Scharlachrot
einem
air
von
nonchalance,
das mir unter diesen Umständen an Affektiertheit zu grenzen schien, schlenderte er auf dem Pflaster hin und her und betrachtete mit leerem Blick den Boden, den Himmel, die gegenüberliegenden Häuser und die Reihe der Geländer. Nachdem er diese Erforschung beendet hatte, ging er langsam den Pfad hinunter, genauer gesagt, den Grassaum neben dem Pfad, und hielt dabei seine Augen fest auf den Boden geheftet. Zweimal blieb er stehen, und einmal sah ich ihn lächeln und hörte ihn einen Ausruf der Befriedigung ausstoßen. In der nassen lehmigen Erde gab es viele Fußabdrücke; aber da die Polizei auf dem Pfad reichlich hin und her gelaufen war, konnte ich nicht begreifen, wie mein Gefährte hoffte, etwas von dem Boden ablesen zu können. Ich hatte jedoch solch außerordentliche Beweise für die Schnelligkeit seiner Wahrnehmungsgabe erhalten, daß ich nicht daran zweifelte, daß er vieles zu sehen vermochte, was mir verborgen blieb.
In der Haustür trafen wir auf einen großen, weißgesichtigen, flachshaarigen Mann mit einem Notizbuch in der Hand, der uns eilig entgegenkam und die Hand meines Gefährten überschwenglich drückte. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen, daß Sie gekommen sind«, sagte er. »Ich habe alles unberührt gelassen.«
»Abgesehen davon!« erwiderte mein Freund und wies auf den Weg. »Nicht einmal eine Büffelherde hätte einen größeren Unfug anrichten können. Sie hatten aber zweifellos schon Ihre eigenen Schlüsse gezogen, Gregson, bevor Sie das da zugelassen haben.«
»Ich hatte zu viel im Haus zu tun«, sagte der Detektiv ausweichend. »Mein Kollege, Mr. Lestrade, ist hier. Ich hatte mich darauf verlassen, daß er sich darum kümmert.«
Holmes warf mir einen Blick zu und hob sardonisch die Augenbrauen. »Mit zwei solchen Männern wie Ihnen und Lestrade auf dem Schauplatz bleibt einem dritten kaum noch etwas zu finden übrig«, sagte er.
Gregson rieb sich die Hände, als sei er mit sich sehr zufrieden. »Ich glaube, wir haben alles getan, was man tun kann«, antwortete er; »aber es ist ein komischer Fall, und ich kenne ja Ihre Vorliebe für solche Dinge.«
»Sie sind nicht mit einem Wagen hergekommen?« fragte Sherlock Holmes.
»Nein, Sir.«
»Lestrade auch nicht?«
»Nein, Sir.«
»Dann wollen wir hineingehen und uns den Raum ansehen.« Mit dieser zusammenhanglosen Bemerkung ging er voran ins Haus, gefolgt von Gregson, dessen Züge seinem Erstaunen Ausdruck gaben.
Ein kurzer Gang, verstaubt und mit nackten Bohlen, führte zur Küche und zum Nebengelaß. Vom Flur aus öffneten sich zwei Türen links und rechts. Eine war offenbar viele Wochen lang verschlossen gewesen. Die andere führte ins Eßzimmer, jenen Raum, in dem sich die rätselhafte Geschichte ereignet hatte. Holmes ging hinein und ich folgte ihm mit jenem unterschwelligen Gefühl im Herzen, das die Nähe des Todes uns einflößt.
Es war ein großer, quadratischer Raum, der infolge des Fehlens jeglichen Mobiliars noch größer wirkte. Eine ordinäre grelle Tapete zierte die Wände, wies jedoch an einigen Stellen Schimmelflecken auf, und hier und da hatten sich große Streifen gelöst und hingen herab, wobei sie den dahinter befindlichen gelben Putz entblößten. Der Tür gegenüber war ein protziger Kamin mit einem Sims aus imitiertem weißem Marmor. Auf eine Ecke des Kaminsimses hatte man den Stummel einer roten Wachskerze geklebt. Das einzige Fenster war so schmutzig, daß es das Licht verschwommen und unsicher machte, wodurch alles einen dumpfen grauen Farbton erhielt, der von einer dicken Lage Staub, die den gesamten Raum bedeckte, noch verstärkt wurde.
All diese Einzelheiten nahm ich später wahr. Zunächst richtete sich meine Aufmerksamkeit auf die einsame, schreckliche, unbewegte Gestalt, die ausgestreckt auf den Bohlen lag und mit leeren, blicklosen Augen an die farblose Decke starrte. Es war die eines Mannes von etwa dreiundvierzig oder vierundvierzig Jahren, mittelgroß, breitschultrig, mit kräftigem schwarzem Lockenhaar und einem kurzen Stoppelbart. Er trug Gehrock und Weste aus schwerem feinem Wollstoff sowie helle Hosen und makellosen Kragen und Manschetten. Ein sauberer und gut gepflegter Zylinder lag neben ihm auf dem Boden. Die Hände waren zu Fäusten geballt und die Arme weit ausgebreitet, wogegen seine unteren Gliedmaßen verrenkt waren, als sei sein Todeskampf fürchterlich gewesen. Auf seinem starren Gesicht war ein Ausdruck des Grauens festgefroren, und, so
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