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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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schien es mir, des Hasses, eines Hasses, wie ich ihn nie zuvor in menschlichen Zügen gesehen hatte. Diese bösartige und furchteinflößende Verzerrtheit, zusammen mit der niedrigen Stirn, der platten Nase und dem vorstehenden Unterkiefer, gab dem Toten ein einzigartig affenähnliches Aussehen, das von seiner verdrehten, unnatürlichen Haltung noch verstärkt wurde. Ich habe den Tod in vielen Formen gesehen, aber keine ist mir furchtbarer erschienen als jene in dem düsteren, schmierigen Raum, der auf eine der wichtigsten Verkehrsadern des vorstädtischen London hinausschaute.
    Lestrade stand neben der Tür, hager und frettchenhaft wie immer, und begrüßte meinen Gefährten und mich.
    »Dieser Fall wird Aufsehen erregen, Sir«, bemerkte er. »Er übertrifft alles, was ich je gesehen habe, und ich habe bestimmt kein besonders weiches Gemüt.«
    »Es gibt keine Hinweise«, sagte Gregson.
    »Überhaupt keine«, stimmte Lestrade ein.
    Sherlock Holmes näherte sich dem Leichnam, kniete nieder und untersuchte ihn aufmerksam. »Sind Sie sicher, daß es keine Wunde gibt?« fragte er; er deutete auf die zahlreichen Blutspritzer und -flecken allenthalben.
    »Ganz sicher!« riefen beide Detektive.
    »Dann gehört dieses Blut natürlich einer zweiten Person – vermutlich dem Mörder, wenn hier ein Mord begangen worden sein sollte. Das alles erinnert mich an die Umstände, die beim Tod von Van Jansen in Utrecht bemerkt wurden, anno ‘34. Erinnern Sie sich an den Fall, Gregson?«
    »Nein, Sir.«
    »Lesen Sie es nach – das sollten Sie wirklich tun. Es gibt nichts Neues unter der Sonne. Es ist alles schon einmal dagewesen.«
    Während er sprach, flatterten seine schnellen Finger hierhin, dahin und dorthin, sie fühlten, drückten, knöpften auf, untersuchten; dabei zeigten seine Augen den entrückten Ausdruck, über den ich mich bereits geäußert habe. Die Untersuchung erfolgte so schnell, daß man daraus kaum auf die Gründlichkeit hätte schließen können, mit der sie vorgenommen wurde. Schließlich roch er an den Lippen des Toten und betrachtete danach die Sohlen seiner Lacklederschuhe.
    »Er ist bestimmt nicht bewegt worden?« fragte er.
    »Nur so viel, wie nötig war, um ihn untersuchen zu können.«
    »Sie können ihn jetzt ins Leichenschauhaus bringen lassen«, sagte er. »Mehr ist nicht herauszubekommen.«
    Gregson hatte eine Bahre und vier Männer zur Hand. Auf seinen Ruf hin betraten sie den Raum, und der Fremde wurde aufgehoben und hinausgetragen. Als sie ihn anhoben, fiel klirrend ein Ring herab und rollte über den Boden. Lestrade nahm ihn auf und betrachtete ihn völlig entgeistert.
    »Eine Frau ist hier gewesen«, rief er. »Das ist der Hochzeitsring einer Frau.«
    Während er dies sagte, hielt er ihn uns auf der Handfläche hin. Wir standen um ihn herum und starrten den Ring an. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß dieser schlichte Goldring einst den Finger einer Braut geziert hatte.
    »Der macht alles noch komplizierter«, sagte Gregson. »Der Himmel weiß, daß es ohnehin schon kompliziert genug war.«
    »Sind Sie sicher, daß er die Dinge nicht vereinfacht?« bemerkte Holmes. »Dadurch, daß man ihn anstarrt, erfährt man allerdings nichts. Was haben Sie in seinen Taschen gefunden?«
    »Das haben wir alles hier«, sagte Gregson. Er deutete auf einen Haufen von Gegenständen auf einer der unteren Stufen der Treppe. »Eine goldene Uhr, Nr. 97163, von Barraud, London. Eine kurze goldene Uhrkette, sehr schwer und massiv. Ein goldener Ring mit einem Freimaurerzeichen. Eine goldene Krawattennadel – der Kopf einer Bulldogge mit Rubinen als Augen. Eine Kartentasche aus Russischleder mit Karten von Enoch J. Drebber aus Cleveland, was dem E.J.D. in der Wäsche entspricht. Keine Börse, aber Geld lose, und zwar sieben Pfund dreizehn Shilling. Eine Taschenausgabe von Boccaccios
Decamerone
mit dem Namen Joseph Stangerson auf dem Vorsatzblatt. Zwei Briefe – einer adressiert an E.J. Drebber und einer an Joseph Stangerson.«
    »An welche Anschrift?«
    »American Exchange, The Strand, zur Abholung. Beide Briefe stammen von der Guion Steamship Company und beziehen sich auf die Abfahrt ihrer Schiffe von Liverpool. Es ist klar, daß dieser unglückliche Mann kurz vor der Heimfahrt nach New York war.«
    »Haben Sie Nachforschungen nach diesem Mann namens Stangerson angestellt?«
    »Das habe ich sofort gemacht, Sir«, sagte Gregson. »Ich habe Anzeigen an alle Zeitungen herausgehen lassen, und einer meiner Leute ist

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