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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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Stangerson hätte etwas mit Drebbers Tod zu tun. Diese neue Entwicklung hat mir gezeigt, daß ich mich da vollkommen geirrt habe. Von dieser einen Idee erfüllt habe ich mich daran begeben herauszufinden, was aus dem Sekretär geworden war. Man hatte sie gegen halb acht am Abend des Dritten zusammen in Euston Station gesehen. Um zwei Uhr morgens wurde Drebber in der Brixton Road gefunden. Die Frage, die sich mir stellte, war nun, was Stangerson zwischen acht Uhr dreißig und dem Zeipunkt des Verbrechens getan hatte, und was danach aus ihm geworden war. Ich habe nach Liverpool telegraphiert, eine Beschreibung des Mannes durchgegeben und darum gebeten, alle amerikanischen Schiffe im Auge zu behalten. Dann habe ich mich daran begeben, alle Hotels und Pensionen nahe Euston Station aufzusuchen. Wissen Sie, ich habe mir gedacht, wenn Drebber und sein Gefährte getrennt wurden, ist es für letzteren das Nächstliegende, irgendwo in der näheren Umgebung eine Unterkunft für die Nacht zu suchen und sich am folgenden Morgen wieder am Bahnhof einzufinden.«
    »Wahrscheinlich hätten sie sich doch von vornherein auf einen Treffpunkt geeinigt«, bemerkte Holmes.
    »So war es dann ja auch. Ich habe den ganzen gestrigen Abend damit verbracht, Nachforschungen anzustellen, aber ohne jedes Ergebnis. Heute morgen habe ich sehr früh begonnen, und um acht Uhr bin ich zu Hallidays Pension in der Little George Street gekommen. Meine Frage, ob ein Mr. Stangerson sich dort aufhielte, wurde sofort bejaht.
    ›Sie sind bestimmt der Gentleman, den er erwartet hat‹, wurde mir gesagt. ›Seit zwei Tagen wartet er auf einen Gentleman.‹
    ›Wo ist er jetzt?‹ frage ich.
    ›Auf seinem Zimmer, im Bett. Er wollte um neun Uhr geweckt werden.‹
    ›Dann gehe ich hinauf und schaue sofort bei ihm hinein‹, sage ich.
    Ich dachte, wenn ich plötzlich bei ihm auftauche, erschüttert das vielleicht seine Nerven und bringt ihn dazu, unvorsichtig etwas zu sagen. Der Schuhputzer hat mir das Zimmer gezeigt; es liegt im zweiten Stock, und zu ihm führt ein kleiner Korridor. Der Schuhputzer zeigt mir die Tür und will wieder nach unten gehen, als ich etwas sehe, wovon mir trotz meiner zwanzigjährigen Erfahrung fast übel wird. Unter der Tür kräuselt sich ein kleines rotes Blutband, schlängelt sich quer über den Gang und bildet an der Leiste auf der anderen Seite eine kleine Pfütze. Ich stoße einen Schrei aus, der den Schuhputzer zurückbringt. Er wird fast ohnmächtig, als er es sieht. Die Tür ist von innen zugeschlossen, aber wir brechen sie mit den Schultern auf. Das Fenster im Zimmer steht offen, und neben dem Fenster liegt zusammengekrümmt der Leichnam eines Mannes im Nachtgewand. Er muß schon seit einiger Zeit tot gewesen sein, seine Gliedmaßen waren nämlich starr und kalt. Als wir ihn umgedreht haben, hat der Schuhputzer ihn sofort als den Gentleman erkannt, der unter dem Namen Joseph Stangerson das Zimmer gemietet hatte. Die Todesursache war ein tiefer Einstich auf der linken Seite, der das Herz durchbohrt haben muß. Und jetzt kommt der seltsamste Teil der Geschichte. Was, glauben Sie, war oberhalb des Toten?«
    Ich verspürte eine Gänsehaut und eine Vorahnung von Grauen, noch bevor Sherlock Holmes antwortete.
    »Das Wort RACHE, geschrieben mit Blutbuchstaben«, sagte er.
    »So ist es«, sagte Lestrade mit ergriffener Stimme, und wir alle schwiegen eine Weile.
    An den Taten dieses unbekannten Mörders war etwas so Methodisches und so Unbegreifliches, daß seine Verbrechen daraus zusätzliche Gräßlichkeit bezogen. Als ich daran dachte, kribbelten meine Nerven, die doch auf dem Schlachtfeld ganz ruhig gewesen waren.
    »Man hat den Mann gesehen«, fuhr Lestrade fort. »Ein Milchjunge auf dem Weg zur Molkerei ist zufällig auf dem Weg von den Ställen hinter dem Hotel dort vorbeigekommen. Er hat bemerkt, daß eine Leiter, die dort normalerweise liegt, unter eines der Fenster im zweiten Stockwerk gelehnt war, und das Fenster stand weit offen. Nachdem er vorbeigegangen war, hat er sich umgeschaut und einen Mann die Leiter herabkommen sehen. Er ist so ruhig und offen heruntergeklettert, daß der Junge angenommen hat, er müsse ein Tischler oder Zimmermann sein, der im Hotel arbeitet. Er hat ihn sich nicht genauer angesehen, nur bei sich gedacht, daß es eigentlich recht früh für Zimmermannsarbeiten ist. Er hat den Eindruck, daß der Mann groß war, ein rötliches Gesicht hatte und einen langen bräunlichen Mantel trug. Er muß nach dem

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