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Eine Studie in Scharlachrot

Eine Studie in Scharlachrot

Titel: Eine Studie in Scharlachrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Conan Doyle
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heruntergebrannten Feuers: Tiere, Mann, Mädchen, alle waren fort. Es war nur allzu deutlich, daß ein jähes und schreckliches Unheil sich in seiner Abwesenheit ereignet hatte – ein Unheil, das sie alle befallen und doch keinerlei Spuren hinterlassen hatte.
    Betäubt und verwirrt von diesem Schlag fühlte Jefferson Hope, wie sein Kopf sich drehte, und er mußte sich auf sein Gewehr stützen, um nicht zu stürzen. Er war jedoch vor allem ein Mann der Tat und erholte sich schnell von dieser vorübergehenden Ohnmacht. Er nahm ein halbverbranntes Holzstück aus dem glimmenden Feuer, blies darauf, bis eine Flamme aufloderte, und machte sich mit ihrer Hilfe daran, das kleine Lager zu untersuchen. Der Boden war von Pferdehufen zertrampelt, was ihm zeigte, daß eine große Gruppe Berittener die Flüchtlinge eingeholt hatte, und die Spuren bewiesen, daß sie später nach Salt Lake City zurückgekehrt waren. Hatten sie seine beiden Gefährten mitgenommen? Jefferson Hope war beinahe überzeugt, daß es sich so verhalten mußte, als sein Blick auf einen Gegenstand fiel, der jeden einzelnen Nerv in seinem Körper prickeln machte. Nicht weit von einer Seite des Lagers entfernt fand sich ein niedriger Hügel rötlicher Erde, der zuvor sicherlich nicht dort gewesen war. Ein Irrtum war nicht möglich – es handelte sich um ein frisches Grab. Als der junge Jäger näher ging, sah er, daß aus dem Grab ein Stock ragte, in dessen enger Gabel ein Blatt Papier stak. Die Inschrift darauf war knapp und bündig:
     
    JOHN FERRIER
    weiland Bewohner von Salt Lake City
    † 4. August 1860
     
    So war also der derbe alte Mann, den er erst kurz zuvor verlassen hatte, nicht mehr, und dies war seine karge Grabschrift. Jefferson Hope blickte wie wild um sich, um zu sehen, ob sich noch ein weiteres Gab fand, aber es gab keinerlei Anzeichen dafür. Lucy war von ihren schrecklichen Verfolgern verschleppt worden, um das ihr zugedachte Schicksal zu erfüllen und eine im Harem des Sohnes des Ältesten zu werden. Als der junge Mann die Unausweichlichkeit ihres Geschicks und seine Ohnmacht, es zu verhindern, begriff, wünschte er, er läge dort neben dem alten Farmer an seiner letzten stillen Ruhestätte.
    Sein tatkräftiger Geist schüttelte jedoch abermals die Lethargie ab, die der Verzweiflung entspringt. Wenn ihm sonst nichts zu tun blieb, konnte er zumindest sein Leben der Rache weihen. Neben unbezwinglicher Geduld und Beharrlichkeit besaß Jefferson Hope auch die Fähigkeit langwieriger Rachsucht, die er von den Indianern, mit denen er gelebt hatte, gelernt haben mochte. Während er neben dem trostlosen Feuer stand, begriff er, daß das einzige, was seinen Gram lindern konnte, gründliche und vollständige Vergeltung war, die er eigenhändig seinen Feinden brächte. Er beschloß, seinen starken Willen und seine unermüdliche Tatkraft diesem einen Ziel zu widmen. Mit grimmigem bleichem Gesicht ging er auf seiner Spur dorthin zurück, wo er das Fleisch hatte fallen lassen, und nachdem das glimmende Feuer wieder angefacht war, briet er so viel davon, daß er für einige Tage damit auskommen konnte. Er verschnürte es in einem Bündel und begab sich, erschöpft wie er war, auf den Fußmarsch zurück durch die Berge, auf der Fährte der Rächenden Engel.
    Fünf Tage lang mühte er sich erschöpft und mit schmerzenden Füßen durch die Engpässe, die er bereits zu Pferde durchquert hatte. Nachts warf er sich zwischen die Felsen und schlief einige Stunden; vor Tagesanbruch war er jedoch immer längst unterwegs. Am sechsten Tag erreichte er den Eagle Canyon, in dem sie ihre unselige Flucht begonnen hatten. Von dort konnte er auf die Heimstatt der Heiligen hinabschauen. Müde und erschöpft lehnte er sich aufsein Gewehr und schüttelte seine hagere Faust grimmig in Richtung der stillen, ausgedehnten Stadt, die unter ihm lag. Als er auf sie hinabschaute, bemerkte er in einigen der wichtigsten Straßen Fahnen und andere Anzeichen für Festlichkeiten. Er grübelte noch darüber nach, was das bedeuten mochte, als er das Klappern von Pferdehufen hörte und einen Mann herbeireiten sah. Als dieser näher kam, erkannte er einen Mormonen namens Cowper, dem er verschiedentlich Dienste erwiesen hatte. Daher sprach er ihn an, als dieser ihn erreichte, in der Hoffnung, etwas über Lucy Ferriers Geschick zu erfahren.
    »Ich bin Jefferson Hope«, sagte er. »Sie werden sich an mich erinnern.«
    Der Mormone betrachtete ihn mit unverhohlenem Erstaunen – es war

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