Eine Stuermische Nacht
habe schon gehört, dass Amerikaner seltsame Bräuche haben, aber mir war nicht klar, dass beschädigte Ware zu heiraten dazugehörte«, höhnte Ainsworth und bewegte sich unmerklich weiter in Richtung seiner Kleider und damit zu der Pistole.
Barnaby hob die Schultern, aber er verriet mit nicht mehr als dem Zucken eines Augenlids die Wut, die in ihm brodelte. Den Blick fest auf Ainsworth gerichtet wartete er mit der Geduld des erfahrenen Jägers auf die nächste Bewegung des anderen.
Emily wunderte sich, dass Joslyn so unempfänglich für Ainsworths Hohn war. Warum unternahm er nichts? Ainsworth war unbewaffnet, und Joslyn hatte das Messer. Warum verwendete er es nicht? Sie musterte ihn und bemerkte jetzt erst seine wachsame, aber nach außen hin entspannte Körperhaltung. Er schien es nicht eilig zu haben zuzuschlagen, aber es gab für sie keinen Zweifel daran, dass er fest entschlossen war, Ainsworth zu töten. Warum der Aufschub? Allmählich dämmerte ihr, dass er aus irgendeinem Grund wartete, Ainsworths Spott erduldete und ihm absichtlich Zeit ließ … aber wofür? Warum tötete er den Widerling nicht?
Wie Emily fragte sich auch Ainsworth, warum Barnaby ihn nicht gleich aufgeschlitzt hatte – wenn ihre Positionen andersherum gewesen wären, hätte er das getan … und zwar mit Genuss. Ein Engländer, überlegte er verächtlich, hätte nicht gezögert – oder die Beleidigungen hingenommen, die er ihm an den Kopf geworfen hatte. Davon überzeugt, dass Joslyn keinerlei Gefahr für ihn darstellte, trat Ainsworth zum Stuhl. Sein Bein streifte den Sitz, und Befriedigung durchfuhr ihn. Die Pistole war nur noch ein paar Zoll entfernt …
Verächtlich wandte Ainsworth Barnaby den Rücken zu und griff beiläufig nach seiner Jacke, wobei er sagte:
»Da nichts, was ich sage, in der Lage zu sein scheint, Sie von Ihrem albernen Kurs abzubringen, werde ich Sie beide nun Ihrem Schicksal überlassen.« Seine Finger fanden die Pistole, und mit der Waffe in der Hand wirbelte er herum, in der Erwartung, Joslyn immer noch am Fußende des Bettes stehen zu sehen.
Aber da war Joslyn nicht länger. In dem Moment, als Ainsworth sich abwandte, bewegte Barnaby sich mit der Geschwindigkeit und der kraftvollen Anmut einer Raubkatze und war bei Ainsworth, als der mit der Pistole zu ihm herumfuhr. Erst als er vor ihm stand, schlug er zu, traf Ainsworths Hand, der die Waffe fallen ließ, und stieß ihm sein Messer tief in die Brust.
Ungläubig starrte Ainsworth auf die Klinge, die zwischen seinen Rippen steckte. Mit weit aufgerissenen Augen und einem erstaunten Gesichtsausdruck sank er zu Boden, röchelte und starb.
Barnabys Gesicht war ausdruckslos, als er sich bückte und das Messer herauszog. Er wischte die Klinge an Ainsworths Rock ab und drehte sich um, dann kam er zum Bett und durchtrennte geschickt Emilys Fesseln.
Emily hatte eigentlich nicht nah am Wasser gebaut, aber sobald sie frei war, sprang sie auf und kniete sich aufs Bett, schlang die Arme um Barnabys Nacken und brach in Tränen aus.
Mit einer Hand streichelte er sanft ihren Hinterkopf, die andere legte er besitzergreifend auf ihren schlanken Rücken und hielt sie dicht an sich gedrückt.
»Sch!«, murmelte er, »sch. Es ist ja alles gut, du bist in Sicherheit. Du musst diesen Wicht nie wieder fürchten.«
Nachdem das meiste von dem Tränenstrom versiegt war, wandte sie ihm ihr tränenfeuchtes Gesicht zu und fragte:
»Wie hast du mich gefunden?«
»Ich bin in einem mehr als günstigen Moment über dein Retikül gestolpert«, erklärte er. »Walker hat mir verraten, was Jeb von Sam erfahren hatte.« Er strich ihr eine feuchte Locke aus dem Gesicht.
»Weißt du, ich denke, wir sollten uns etwas Besonderes für Sam einfallen lassen – er ist der wahre Held des Stückes.«
Emily stritt nicht ab, dass Sam eine wichtige Rolle bei ihrer Rettung gespielt hatte, aber in ihrem Herzen würde immer dieser große raue Amerikaner ihr Held sein. In dem Augenblick, in dem sie ihn am meisten gebraucht hatte, war er wie ein rächender Engel ins Zimmer gestürmt und hatte sie vor einem grässlichen Schicksal gerettet. Dicht an ihn geschmiegt, mit einem Arm um ihre Taille geschlungen, fühlte er sich so warm und groß an, so solide, dass sie am liebsten nie den Schutz seiner starken Arme verlassen hätte.
Sie seufzte wohlig und schmiegte sich noch enger an ihn; die Wolle seines Rockes kratzte auf der Haut auf ihren Brüsten und an ihrem Bauch. Mit einem Mal fiel ihr auf, dass
Weitere Kostenlose Bücher