Eine Stuermische Nacht
durfte nie erfahren, was sie trieben, weil Emily keinen Augenblick bezweifelte, dass er, weit entfernt davon, entrüstet zu sein, vielmehr das kleine Unternehmen an sich reißen und den Löwenanteil des Profits für sich beanspruchen würde. Die Dorfbewohner, Mrs Gilbert und ihre Töchter, der Hufschmied, Jeb und all die anderen – all jene, die so verzweifelt auf das Geld angewiesen waren, das der Schmuggel ihnen einbrachte – würden fast leer ausgehen.
Die Fackeln zu beiden Seiten des Haupteingangs des weitläufigen Gebäudes leuchteten einladend, aber Emily eilte zur Seite des Hauses. Wenn sie die Eingangstür gewählt hätte, hätte Walker, ihr alter Butler, sie sicher unverzüglich außer Sicht geschafft, aber sie wollte ihn nicht unnötig weiter hineinziehen, als sie das bereits getan hatte. Und Flora und die anderen …
Schuldgefühle drohten sie zu überwältigen. Hatte sie das Richtige getan, als sie sie einfach dem Zorn ihres Cousins ausgeliefert hatte, der ihn unweigerlich erfassen würde, wenn er entdeckte, dass seine Beute ihm entwischt war? Sie erinnerte sich daran, dass es zu ihrem Schutz geschehen war, dass sie geflohen war, aber das erleichterte ihr Gewissen nicht. Müde und erschöpft gestand sie sich ein, dass zu viele Leute darauf angewiesen waren, von ihr in Sicherheit gebracht zu werden, als dass sie hätte bleiben dürfen. Aber es hätte ihr gefallen, Jeffery entgegenzutreten und ihm klar und unmissverständlich zu sagen, was sie von ihm hielt – und von seinem Freund Mr Ainsworth.
Bis auf die Haut durchnässt, mit klappernden Zähnen und um Luft ringend stand Emily schließlich vor dem Wandspalier auf der Rückseite des Hauses. Den Stacheln der Kletterrose geschickt ausweichend, die in wenigen Monaten über und über mit duftenden rosa Blüten übersät sein würde, stieg sie müde zu dem Fenster empor, durch das sie vor Stunden das Haus verlassen hatte.
Sie zog das unverschlossene Fenster auf und schwang die Beine dankbar ins Zimmer. Als die wohlige Wärme des Feuers im Kamin sie einhüllte, musste sie wieder an ihre Gefährten denken, die sie hatte zurücklassen müssen. Es blieb ihr nur zu hoffen, dass ihr vermaledeiter Cousin ihnen keinen ernsthaften Schaden zugefügt hatte. Während sie sich ihrer nassen Kleider entledigte, biss sie die Zähne zusammen. Bei Gott, wenn er einem von ihnen etwas getan hatte, würde sie es ihm heimzahlen.
Squire Townsend hatte den Gilbert-Töchtern oder Sam nichts getan, andersherum war das jedoch nicht der Fall. Die Verteidiger im Wirtshaus waren wild entschlossen gewesen. Faith hatte Townsend einen Krug Ale auf dem Kopf zerschlagen und ihm dabei einen Schnitt über seinem rechten Auge verpasst, und Molly, die Nächstälteste, hatte überaus wirkungsvoll den Besen einzusetzen gewusst. Der Squire würde noch mehrere Tage humpeln, als Folge des Sturzes, nachdem sie ihm den Stiel zwischen die Beine gerammt hatte. Und Sam hatte schließlich, um allem die Krone aufzusetzen, ihn in den Oberschenkel gebissen, so fest, dass es geblutet hatte. Harriet und Mary hatten ihn mit mehreren schweren Zinnkrügen beworfen, und als es Townsend schließlich doch gelang, ihre Abwehrreihe zu durchbrechen und die Stufen zu erklimmen, hatte er zusätzlich zu seinen anderen Verletzungen auch noch eine beeindruckende Prellung im Gesicht und Blut am Kinn.
Es war ein maßlos wütender und übel zugerichteter Herr, der in das Zimmer stürmte, nur Sekunden, nachdem Emily in dem Schrank verschwunden war. Sein früher einmal makellos geknotetes Halstuch hing schief, sein dunkelblauer Rock und die zuvor in ungetrübtem Altweiß gemusterte Seidenweste waren mit Blut- und Aleflecken übersät. Seine kastanienbraunen Locken waren hoffnungslos zerzaust.
Sobald Flora die Tür geöffnet hatte, humpelte er ins Zimmer, blickte sich wild um und, da er nur Flora in der Raummitte und den dunkelhäutigen Fremden im Bett entdecken konnte, fragte er barsch:
»Wo ist sie? Ich weiß, dass sie hier irgendwo ist. Emily, komm sofort heraus.«
Faith und Molly waren dicht hinter Townsend; die Hände in die Hüften gestemmt, erkundigte sich Faith:
»Wie können Sie es wagen, sich gewaltsam Zutritt zu dem Zimmer eines Herrn zu verschaffen, der um Haaresbreite dem Tode entronnen ist? Warten Sie, bis der Konstabler davon hört.«
Townsend drehte sich zu seinen Peinigern um und fuhr sie an:
»Ich denke, du bist es, Faith, die den Konstabler fürchten sollte.« Seine Stimme wurde vor Wut lauter.
»Du
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