Eine Sünde zuviel
Mangel drehen.«
»Dahlmann nicht.«
»Er muß ein Alibi beibringen, wo er jetzt hinfuhr.«
»Auch das wird er haben. Sie kennen ihn doch, Doktor.«
»Allerdings.«
»Trinken wir eine Tasse Kaffee …«
»Woher nehmen Sie bloß diese Ruhe?!« Dr. Kutscher vibrierte am ganzen Körper. Auch er spürte, daß Dahlmann in diesen Minuten dem Geheimnis entgegenfuhr und daß sie nahe daran gewesen waren, alle Fragen beantwortet zu bekommen.
»Es ist keine Ruhe, Doktor … es ist die Starrheit des Hasses …«
Dr. Kutscher sah sie von der Seite an. Sie saß da wie versteinert, die dunklen Brillengläser, die ihr Gesicht beherrschten, warfen den Schein der Abendsonne zurück. Dr. Kutscher hob wie frierend die Schultern.
»Trinken wir Kaffee …«, sagte er leise, ganz gegen seine Art. »Und wie wollen Sie – oder wir – beweisen, daß Ihr Mann den Verbleib Monikas weiß?!«
»Ich werde es bald wissen. Morgen schon.«
»Morgen? Aber wie denn?«
»Viele Opfer, die gebracht wurden, waren sinnloser als dieses hier …«
»Opfer? Was wollen Sie tun, gnädige Frau …?!«
»Fahren Sie, Doktor. Bitte …«
»Nicht, bevor ich weiß, was Sie vorhaben! Ich flehe Sie an … machen Sie keine Dummheiten! Sie haben Ihren Mann mit dieser erfundenen Sanden-Geschichte bis an die Grenze der Vernunft gebracht …«
»Das wollte ich! Morgen soll ihn die Vernunft ganz verlassen …«
»Das werde ich verhindern!« Dr. Kutscher ergriff Luises Hände. »Gnädige Frau, wenn Sie die Gefahr wüßten.«
»Und wenn ich sie weiß …?«
»Dann ist es um so leichtsinniger, daß Sie sich …«
»Doktor, bitte … ich habe solchen Kaffeedurst.« Luise lächelte, als sie die Angst in den Augen Dr. Kutschers sah. »Glauben Sie mir … mir wird nichts, gar nichts geschehen.«
Dr. Kutscher war davon in keiner Weise überzeugt. Er kannte Dahlmann, aber er überschätzte ihn. Er traute ihm mehr zu, als Dahlmann zu tun fähig war.
»Bitte, nehmen Sie meinen Rat an …«, sagte er stockend. »Übernachten Sie wieder in dem Hotel …«
»Gerade die Nacht brauche ich, Doktor …«
»Wie kann man Sie bloß schützen?!« rief Dr. Kutscher. Er hieb mit der Faust auf das Lenkrad. Luise ergriff seine Faust und hielt sie fest.
»Keiner braucht mich zu schützen. Mein bester Schutz ist die Notwendigkeit, zu leben …«
Dr. Kutscher war es, als drücke ihm jemand die Kehle zu. Er umklammerte Luises Hand und atmete schwer. Verdammt, dachte er. O verdammt! Welche Nerven hat diese Frau.
»Sie wissen …«, sagte er leise.
Luise nickte. »Ich weiß alles, Doktor.« Ihr Lächeln war zu diesen Worten wie ein Blütenregen auf die Stätte einer Hinrichtung. »Und nun fahren Sie, Doktor … Ich sehne mich nach einer Tasse Kaffee –«
*
Die ganze Nacht blieb Luise auf und wartete. Dahlmann kam nicht zurück. Sie wußte dafür keine Erklärung, aber ihre Angst wuchs, daß sie sich dieses Mal verrechnet haben könnte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: Entweder war er bei Monika – oder er hatte die Nerven verloren und war geflohen. Wohin, das würde sich bald feststellen lassen … nur war dies nicht die Wesensart Dahlmanns, alle Brücken abzubrechen, ohne wenigstens die letzte Möglichkeit auszunutzen, einen Vorteil mitzunehmen. Daß er ohne Geld über die Grenze gegangen war, schien also unwahrscheinlich zu sein. Aber auch bei Monika konnte er nicht die Nacht verbringen … sie hatte ihn weggestoßen mit der Verzweiflung, vergessen zu wollen. Der Zauber, in den sie einmal gefangen war, die Hörigkeit, die Dahlmann in ihr erzeugt hatte, waren zerbrochen … die Ernüchterung, die an ihre Statt getreten war, konnte nicht mehr übersprungen werden.
Und doch war es so.
Dahlmann saß die ganze Nacht über bei Monika.
Er war zur Waldhütte gerast und hatte die Tür so verschlossen gefunden, wie er sie verlassen hatte. Im Alkovenbett lag Monika, tot und steif, mit halboffenem Mund. Die zarte, rosa Haut war gelb geworden … er ließ den Vorhang schnell wieder vor das Bett fallen und taumelte zum Tisch.
Die Tasche! Wie kommt die Tasche in die Wohnung?
Dahlmann tastete die Decke ab, in die er Monika eingerollt hatte. Sie war nicht da. Er überwand sich, zog noch einmal den Vorhang vom Bett und schob die Steppdecke von dem starren Körper. Hinter Monika, zwischen ihrer rechten Hüfte und der Wand, lag ihre Handtasche. Eine rote Tasche, nicht eine weiße. Ernst Dahlmann schloß die Augen und lehnte sich an die Alkovenwand.
Die Nerven, dachte er. Ich habe die
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