Eine Sünde zuviel
einigen biegsamen Ästen, an die man sich anklammern konnte.
Vor ihm versank langsam die Deckenrolle. Er starrte auf den Sumpf, wie er Monika in sich hineinzog. Es war ein Anblick, der ihn erschaudern ließ, aber er wandte das Auge nicht davon ab, es war ein Abschied von Monika für immer.
Er wartete, bis sie völlig versunken war und die Oberfläche des Moores wieder glatt war. Dann ging er langsam zurück zum Wagen und fuhr, mit einem Gefühl von Übelkeit im Magen, nach Hannover. Der Moorschmutz an seinem Anzug trocknete ab … kurz vor der Abfahrt von der Autobahn in die Innenstadt hielt er an einer Raststelle, klopfte seinen Anzug ab, säuberte die Hosenaufschläge von Pflanzenresten und die Schuhe vom festgeklebten Schlamm. Als die Geschäfte um acht Uhr öffneten, kaufte er sich einen neuen Anzug, zog sich in der Probierkabine gleich um und brachte den fleckigen Anzug zur Reinigung. Expreß, bestellte er. In drei Tagen würde er ihn wieder brauchen.
In seiner Wohnung fand er Fräulein Erna Pleschke vor. Sie war bestellt worden, wie jeden Tag zu kommen. Dahlmann begrüßte sie brummend und ging ins Zimmer. Fräulein Pleschke konnte er am wenigsten gebrauchen; außerdem wußte er nicht, was sie hier sollte. Es war nicht denkbar, daß Luise spazierenging, wenn man ihre Schwester suchte.
»Bist du es, Ernst?« fragte Luise. Sie saß blaß und übermüdet in der Blumenecke. Ihre Augen brannten unter den dunklen Gläsern und tränten etwas. Mit letzter Kraft kämpfte sie gegen eine ohnmachtähnliche Müdigkeit an. Daß sie, im Sessel sitzend, eine Stunde geschlafen hatte und durch die Geräusche, die Fräulein Pleschke verursachte, geweckt wurde, wußte sie nicht. Sie glaubte, sie wäre nur ein wenig eingenickt.
Ernst Dahlmann setzte sich. Luise musterte ihn. Er hat einen neuen Anzug an, dachte sie. Was soll das bedeuten? Wo kommt er jetzt her? Aber sie fragte ihn nicht danach. Sie hatte sich ein anderes Mittel ausgedacht, Dahlmann zum eigenen Verräter werden zu lassen. Auf Fragen würde er immer eine Antwort wissen … man mußte ihn überraschen, ihn plötzlich treffen, so wie es mit der Handtasche Monikas gelungen war. Nur ging dieser Schuß ins Leere, weil Dahlmann schneller war als seine Verfolger.
»Ja. Ich bin's, Luiserl.« Er lehnte sich weit zurück und sah an die Decke. Die Morgensonne stach grell durch das breite Fenster. Ein schöner Herbsttag begann … vielleicht war es der letzte in diesem Jahr. In Bayern lag schon Schnee, von Schweden wurde das gleiche gemeldet. Es würde nicht lange dauern, bis auch nach Hannover der Winter gekommen war. Dahlmann genoß die Stille, die Sonne, die Blumenranken, den Duft von Rosen und Dahlien, er genoß es, in einem weichen Sessel zu sitzen, die Beine weit von sich zu strecken und zufrieden zu sein.
Das war er: zufrieden! Wenn er eitel gewesen wäre, hätte er sagen können: Ich habe die Methode des perfekten Mordes entdeckt. Nicht aus Gemeinheit, aus einem verbrecherischen Instinkt heraus, sondern aus der Angst, der Notwendigkeit, einen Menschen spurlos verschwinden zu lassen, dessen Tod man nie, nie gewollt hatte.
Er griff in die Tasche, zog eine Schachtel Zigaretten heraus und begann zu rauchen. Was nun, dachte er dabei. Der zweite Tag der vier Tage ist gekommen. Ich werde mir die Fahrkarte nach Zürich bestellen, einige Koffer packen und sie als Reisegepäck vorschicken. Das fällt nicht auf … wenn sie es später erfahren, wird die Spur verwischt sein.
»Wie hast du geschlafen, Luiserl?« fragte er, um etwas zu sagen und die Stille aufzulockern.
»Gar nicht.«
»Gar nicht? Aber warum denn?«
»Da kannst du noch fragen?«
»Verzeih.« Dahlmann sog an seiner Zigarette. »Du erkundigst dich gar nicht, wo ich diese Nacht gewesen bin?«
»Nein. Du wirst es mir ja auch so sagen.«
»Hast du keine Angst, daß ich dich belüge?«
»Nein. Du hast mich nie belogen.« Luise kam es völlig frei von den Lippen. »Warum sollten wir uns jetzt noch etwas vormachen? Ich war auch ehrlich zu dir, Ernst … wenn du mir sagst, du warst diese Nacht bei einer anderen Frau … es berührt mich nicht mehr …«
Luises Kopf flog hoch. Sie sah Dahlmann an … er war verschwommen, und die Augen tränten wieder, als sie in die Sonne sah. Sie nahm ein Taschentuch, schob es zwischen die Brillengläser und drückte es gegen die Augen. Sie tupfte die Tränen ab … Dahlmann kehrte aus dem Verschwommenen in die Klarheit zurück.
»Aber das war ich nicht. Ich habe Monika
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