Eine Sünde zuviel
Mannes, das man sich in Jahren glücklicher Ehe gezimmert hatte, selbst wieder zu zerstören und kleinzuhacken. Das Verhältnis mit Moni würde andere Dinge nach sich ziehen, das wußte Luise. Ernst Dahlmann war keiner, der sich mit Halbheiten abgab. Noch war er nach außen verpflichtet, den liebenden und sorgenden Ehemann zu zeigen, aber es war auszurechnen, daß ihm auch dies lästig wurde und er auf Mittel sinnen würde, sich dieser letzten Bürde zu entledigen … nicht gewaltsam, sondern elegant, fast charmant, wie sein ganzes Wesen war, so voller Tragik, daß seine Umwelt nicht sie, Luise, sondern ihn, Ernst Dahlmann, bedauern würde und ihm mitfühlend die Hände drücken konnte.
Mit dem ersten Kuß Monis, mit der ersten Nacht in ihren jugendfrischen Armen war Luise für Ernst Dahlmann innerlich gestorben. Das wußte sie nun. Sie war ihm im Weg, auch wenn sie nichts sah und nur hörte, auch wenn sie nur herumsaß und ein Möbelstück wurde, das ihn nicht störte. Lästig war sie immer; schon, daß sie gegenwärtig war, bildete eine Bremse für die völlige Haltlosigkeit, in die Ernst Dahlmann mit neu erwachter Jugendfrische hineinsteuerte.
Wie wird er es anstellen, dachte Luise in dieser Nacht. Wie wird er den Weg finden, mich auszuschalten? Und welche gemeine Rolle wird Monika dabei spielen? O mein Gott – Monika, meine Schwester … ausgerechnet meine Schwester –
Einer Eingebung folgend, ging sie hinunter in die Apotheke. Sie wußte, daß heute kein Nachtdienst war. Die Laborräume, die Rezeption, der Laden, das Lager lagen in dunkler Stille. Es roch wie immer nach Arzneien und Gewürzen, Parfüm und Seifen, jene merkwürdige, strengsüße Duftmischung, die in den Räumen einer Apotheke das Fluidum der Heilsamkeit verbreitet.
Im Büro setzte sich Luise hinter Ernst Dahlmanns Schreibtisch und holte die Tageseinnahmebelege heraus. Sie waren fein säuberlich in einem Buch eingetragen. Das Führen der einzelnen Konten besorgte ein Buchhalter … Dahlmann selbst interessierte nur die Summe, die nach allen Abzügen übrigblieb und die er als Gewinn betrachtete. Für diese Zahlenkolonne hatte er ein eigenes, kleines Buch angelegt. Luise wußte, wo er es bewahrte.
Die Zahlen, die sie las, waren imponierend. Die Zahlen, die sie kannte und die ihr Dahlmann vorlas, waren weniger zufriedenstellend. »Die Leute werden zu gesund, Luiserl …«, sagte er immer wieder. »Die Medizin macht sich selbst kaputt! Es ist ein euphorischer Selbstmord! Wir entdecken immer neue, wirksamere Arzneien … und die Folge? Die Leute leben, gesund wie die Schildkröten und werden eines Tages zweihundert Jahre alt … aber der Arzt und der Apotheker werden dann zu den notleidenden Ständen gehören. Ein Proletariat der Akademiker …«
Die Wahrheit war anders. Die Mohren-Apotheke hatte umfangreiche Einnahmen, vor allem durch die neue kosmetische Abteilung. Auch wurden die Menschen nicht gesünder, sondern die Krankheiten verlagerten sich. An erster Stelle standen Herz und Kreislauf, an zweiter Stelle stand der Krebs, doch dafür gab es noch keine wirksamen Medikamente.
Auch hier betrügt er mich also, dachte Luise und schloß das kleine Buch wieder fort. Zwei Drittel der wahren Zahlen liest er vor, ein Drittel wandert auf sein eigenes Konto. Warum dieser dumme Umweg? Wie kann eine Blinde kontrollieren, was in den Büchern steht? Warum diese unlogischen Bemühungen der Verschleierungen, wenn eines Tages Luise Dahlmann doch aus diesem Hause verschwinden soll?
Er hat etwas vor, dachte sie. Er hat etwas ganz Gemeines vor. Mein Mann –
Wann Ernst Dahlmann aus dem Atelier Monikas zurückgekommen war, wußte Luise nicht mehr. Sie erwachte gegen Morgen und sah ihren Mann neben sich liegen. Schlafend wie ein Kind, mit einem leisen Lächeln, zufrieden.
Jetzt wäre es leicht, ihn zu töten, dachte sie. Mit beiden Händen an den Hals, zugedrückt, die Daumen gegen den Adamsapfel … er würde es kaum spüren, daß er stirbt.
Sie tat es nicht. Sie lag neben ihm wach, bis er sich rührte, gähnte, aufsetzte, durch die graumelierten Haare strich, mit den Füßen über die Bettdecke scharrte und sich die Brust kratzte. Dann blickte er sie an. Sie hielt die Augen starr gegen die Decke gerichtet. Ernst Dahlmann unterbrach sein Kratzen.
»Du bist wach, Luiserl?« fragte er mit ausgesprochen süßer Stimme.
»Ja, Ernst –«
»Schon lange?«
»Ich weiß nicht. In ewiger Dunkelheit verliert man den Zeitbegriff –«
»Verzeih. Die Frage war
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