Eine Sünde zuviel
welcher Triumph in seinen harten Augen aufflammte. »Es ist doch wirklich nichts. Gar nichts tropft. Moni … hörst du etwas?«
»Nein –«
»Dann … dann muß ich verrückt sein …«, sagte Luise und starrte ins Leere. Ich gebe ihm das Stichwort, dachte sie. Jetzt wird er zufrieden sein.
»Welche Gedanken, Luiserl.« Dahlmann sprang auf. Er spielte seine Rolle, als stände er nicht vor einer Blinden, sondern müsse eine Sehende überzeugen. »So etwas darfst du nie in dir aufkommen lassen. Natürlich sind es nur die Nerven … aber wer könnte das nicht verstehen?! Jetzt kommt die Reaktion der ganzen Aufregung der letzten Monate … vielleicht ist es sogar ein Zeichen, daß die Erholung in Montreux anschlägt –«
Wie fürsorglich das alles klingt, dachte Luise, und welche Satanerie steckt dahinter. Natürlich sind es die Nerven … dieser Satz war die Gefahr, war die Drohung, war sein Programm.
»Du hörst also wirklich nichts?« fragte sie mit der Hartnäckigkeit der Blinden noch einmal. »Und du, Moni, hörst auch nichts?«
»Nein!«
»Da … klick … klick … klick … Tropfen auf Tropfen … Das ist doch Irrsinn! Wie kann es hier im Wohnzimmer tropfen?!«
»Beruhige dich, Luiserl«, sagte Dahlmann voll Sorge, aber sein Gesicht war überglänzt von Freude. »Mein Gott, so etwas kommt vor. Man hört auf nicht vorhandene Geräusche. Auch ich bin schon mal an die Tür gelaufen, beim Nachtdienst, weil ich ganz deutlich ein Klingeln hörte … und nachher war niemand an der Tür. Es gibt solche Mystifikationen –«
Der Glaskolben leerte sich während des Mittagessens. Ab und zu sah Luise zum Schrank hinauf und wartete. Sie sprach nicht mehr über das Tropfen … erst, als der letzte Tropfen klickte und dann nichts mehr folgte, warf sie dramatisch den Kopf hoch.
»Jetzt ist es vorbei!« rief sie hell. Dahlmann, beim liebevollen Löffeln seines Puddings schrak zusammen.
»Was?« Automatisch jagte sein Blick zu seiner Konstruktion. Der Kolben mit dem Wasser war leer.
»Das Tropfen. Plötzlich ist es weg … ganz weg … Seid mal alle ganz still … So – Wirklich, es ist vorbei …«
»Siehst du, Luiserl …« Dahlmann schlürfte die Vanillesoße des Puddings. »Es ist alles halb so schlimm … Es verliert sich. Sind halt doch die Nerven –« Es klang leichthin, aber es war wieder ein Hammerschlag. »Was sollte auch schon bei uns tropfen, nicht wahr?«
»Ja, Ernst.«
Am Abend, als sie zurückkam aus Herrenhausen, ohne Robert Sanden, den sie angerufen hatte, getroffen zu haben, hatte Ernst Dahlmann einen größeren Kolben in die Halterung gehängt. Zwei Liter Wasser, dosiert in Tropfen von je zwei Sekunden … das hält einen Abend durch.
»Da ist es wieder«, sagte Luise wieder pflichtschuldig, wie es ihre Rolle ihr vorschrieb.
»Was?« Dahlmann strich zufrieden über die Lippen.
»Dieses Klick … dieses Tropfenfallen …«
»Aber Luiserl …«
»Es ist wieder da. Ich werde verrückt, ich werde noch verrückt …«
Ernst Dahlmann sah Monika bedeutungsvoll an. Wie glatt das alles lief, sollte dieser Blick heißen. Moni, wir brauchen uns keinerlei Sorgen zu machen.
»Wenn es dich beruhigt, rufe ich einen Arzt, Luiserl«, sagte er mild. Sie nickte.
Von der Diele, wo das Telefon stand, hörte sie ihn sprechen.
Er rief einen Dr. Vierweg an.
Luise kannte ihn von der Apotheke her. Er war ein Nervenarzt.
Sie wandte den Kopf zu ihrer Schwester. Monika saß am Tisch, hatte das Taschentuch an den Mund gepreßt und weinte unhörbar.
Auch du bist sein Opfer, dachte Luise und blickte weg. Du weißt es nur noch nicht –
Der Nervenarzt Dr. Vierweg fand nichts. Er untersuchte Luise, stellte seine Fragen, ließ sie erzählen.
Natürlich tickte es nicht mehr im Zimmer. Dahlmann hatte seine Apparatur entfernt.
Aber am nächsten Morgen, beim Frühstück, tropfte es wieder. Ein höllisches Spiel, das zum Erfolg geführt hätte, wenn Luise Dahlmann noch eine Blinde gewesen wäre.
*
Am folgenden Tag blieb sie auch über Mittag in Herrenhausen. Schon am Morgen ließ sie es Ernst Dahlmann wissen, offiziell, weil das Wetter so schön wäre und es schade sei, den Ausflug nur wegen des Essens abzubrechen. Dahlmann war sofort einverstanden. Er hatte zwei wichtige Gänge an diesem Tag vor und hatte schon darüber gegrübelt, wie er sich die Stunden dafür frei nehmen konnte. Der eine Besuch galt nämlich dem Nervenarzt Dr. Vierweg, dem zu berichten war, daß Luise wieder das Tropfen hörte und was man da
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