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Eine Sünde zuviel

Eine Sünde zuviel

Titel: Eine Sünde zuviel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verteidigen. – Und jetzt? Jetzt war es so, daß sie es als eine Freude empfinden würde, wenn Ernst Dahlmann tot zu ihren Füßen liegen würde.
    »Ich möchte ins Bett, Ernst –«, sagte sie heiser. »Ich bin wirklich schrecklich müde –«
    »Sofort, Luiserl!«
    Wenig später lag sie in dem großen, geschnitzten Bett, in dem schon vier Generationen Horten geschlafen hatten und gestorben waren. Ernst hatte sich von seiner Frau mit einem Kuß verabschiedet. Sie hatte ihn geduldet, mit einer Gänsehaut, als habe sie ein Frosch geküßt. Von nebenan, durch die Diele getrennt, hörte sie die fröhlichen Klänge der Offenbach-Operette.
    Soll ich aufstehen und an die Tür des Wohnzimmers gehen? Soll ich durch das Schlüsselloch gucken? Ich weiß, was ich dann sehen werde! Ein neuer Schluck von Gift wird es sein, das mich innerlich zerfrißt.
    Sie lag im Bett und krallte die Nägel in das harte Eichenholz der Seitenteile. Die Gemeinheit, die sie umgab, war so ungeheuerlich, daß sie nur in einzelnen Stücken zum Verständnis wurde, und je mehr Bruchstücke es wurden und sich zu einem Bild zusammensetzen ließen, um so unerträglicher wurde es, das große Spiel des Blindseins weiterzuspielen, um noch mehr, noch Grausameres zu erfahren und zu sehen.
    Nach der Operette kam Ernst Dahlmann ins Schlafzimmer. Er sah zu Luise hin und stellte fest, daß sie schlief. Mit jugendlichem Schwung riß er sich den Schlips aus dem Kragen, warf die Kleidung ab und hüpfte nackt in das nebenliegende Bad. Dort brauste er sich, eine Wolke Tabakparfüm zog ins Schlafzimmer, dann surrte der elektrische Rasierapparat. Luise lag mit offenen Augen und wartete. Er rasiert sich für die Nacht, er parfümiert sich den Körper, dachte sie. Mein Gott, verhüte, daß er die Geschmacklosigkeit begeht, schon in dieser ersten Nacht meines Hierseins wieder zu Moni zu gehen –
    Ernst Dahlmann kam aus dem Bad zurück. Luise schloß die Augen und sah ihm unter den Wimpern her zu. Er warf seinen seidenen Morgenmantel über den nackten Körper, verzichtete auf den Schlafanzug, beugte sich noch einmal zu Luise vor und vergewisserte sich, daß sie noch immer schlief, tief, mit langen Atemzügen, erschöpft von der Reise, ein Schlaf, der bis in den Morgen dauern würde. Sie sah sein Gesicht, glatt rasiert und glänzend, kalte, starrende Augen … dann ging er, auf Zehenspitzen, sich beim Gehen wiegend wie eine Tänzerin, lautlos aus dem Zimmer. Die Tür ließ er angelehnt, damit sie nicht knarrte, wenn er zurückkam.
    Luise schlüpfte aus dem Bett und rannte an die angelehnte Tür. Sie hörte, wie er die Treppe hinaufging zu dem Atelier, in dem Moni schlief. Oben klappte leise eine Tür … die Pforte der Sünde hatte sich geschlossen.
    Unschlüssig stand Luise in der großen Zentraldiele und starrte die Treppe hinauf. Nachgehen, dachte sie. Ihn in den Armen meiner Schwester finden! Und sie töten, beide, während noch das Entsetzen in ihren Augen schreit. Töten mit irgend etwas … mit einem Küchenmesser, mit einem Beil, mit einer Eisenstange … alles, alles kann jetzt zum Werkzeug werden, ein Stuhlbein, mit dem ich sie erschlage wie tolle Hunde, eine Vase, ein Kerzenleuchter, ein Feuerhaken vom offenen Kamin. Es gibt so vieles, mit dem man töten kann, die ganze Welt ist voller Mordwerkzeuge … aber hier ist es kein Mord mehr … hier ist es Befreiung, Erlösung, ein Strafgericht –
    Sie lehnte sich an das Treppengeländer und umklammerte die Geländerstäbe. Zweiundzwanzig Stufen nur … zweiundzwanzigmal ein Fuß vor den andern … dann eine Tür … und alles, alles ist vorbei! Zweiundzwanzig Stufen bis zur Hölle … so nah ist das alles … man hätte es früher nie geglaubt. Ein Satz Jean-Paul Sartres fiel ihr plötzlich ein … »Die Hölle – das sind wir!« Sie nickte und schlug mit der Stirn auf das Geländer.
    Aber sie hatte nicht die Kraft, diese zweiundzwanzig Stufen hinaufzugehen. Sie hatte nicht die Kraft, dieses Bild anzusehen, das sich ihr bieten würde, auch wenn sie es nachher zerstören konnte und wollte. Sie blieb auf der Diele stehen, sah noch mal nach oben und ging zurück.
    Das eine weiß ich jetzt … das war ein Gedanke, der ihr Herz zerriß. Aber die Zeit ist noch nicht da, wo ich ihnen sage, daß ich alles sehen kann. Es wird noch mehr kommen … das kann nur der Anfang sein.
    Sie setzte sich in das Wohnzimmer in die Blumenecke und starrte hinaus in die stille, mondhelle Nacht. Es war unendlich schwer, das Idealbild eines

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