Eine Sünde zuviel
gar nichts sagen!«
»Beschwöre keine Katastrophe herauf! Sie reißt auch dich mit in den Strudel!« Er faßte sie an die schmalen Schultern und riß sie aus dem Sessel an sich empor. »Ich denke, du liebst mich?«
»Du hast noch keinen Anlaß gehabt, daran zu zweifeln.«
»Wirkliche Liebe, so wie unsere, ist rücksichtslos. Was sich ihr in den Weg stellt, wird überrannt … ganz gleich, wer es ist! Nur die skrupellos Liebenden sind die großen Liebenden –«
»Du bist mir unheimlich«, sagte Monika ehrlich. »Ich habe Angst vor dir … Wie soll das alles werden?«
»Darüber mache dir keine Gedanken.« Er sah zu seinem Tropfgerät auf dem Bücherschrank. »Du mußt nur tun, was wir besprochen haben …«
»Und Luise …?«
»Wer fragt, ist unsicher. Du sollst nur an unsere Liebe denken … an nichts weiter …«
Kurz vor dem Mittagessen kam Luise Dahlmann zurück. Sie war mit Fräulein Pleschke einkaufen gewesen. Einige neue Tonbänder, ein paar Schallplatten … die zusammengeschrumpfte Welt, die einen Blinden erfreut.
Ernst Dahlmann zog den Pfropfen von der Kanüle, als er Luises Stimme in der Diele hörte. Der erste Tropfen fiel in das Blechbecken.
Klick-klick-klick
Wie immer verabschiedete sich Fräulein Pleschke an der Tür, nachdem sie Luise abgeliefert hatte. Um drei Uhr nachmittags wollte sie sie wieder abholen für die Fahrt in den Park des Schlosses Herrenhausen.
Luise saß in ihrem Sessel am Tisch. Monika trug das Mittagessen auf. Ernst Dahlmann war einsilbig. »Ärger mit dem neuen Lehrling«, sagte er kurz. »Die Bengel von heute dünken sich schon als große Herren! Dabei sind es Rotznasen, weiter nichts!« In Wahrheit wollte er alles vermeiden, das das Klicken der Wassertropfen übertönte.
Luise hob den Kopf. In die Stille des Raumes, die für das Ohr eines Blinden nie völlig still war, sondern umrahmt von hundert winzigen Geräuschen, fiel wie ein Hammerschlag der Fall des Wassertropfens. Klick-klick-klick – Immer wieder … in Abständen von zwei Sekunden … klick …
»Was ist das?« fragte sie. Ernst Dahlmann sah seine schwägerliche Geliebte bedeutungsvoll an.
»Was, Luiserl?« fragte er zurück.
»Dieses Klicken.«
»Ich höre kein Klicken.«
»Da ist es wieder … und jetzt … jetzt … Ganz deutlich! Hörst du es nicht?«
»Nein, Luiserl … ich höre nichts. Sei mal still …«
»Da –«
»Nein.« Dahlmann lächelte breit. »Ich weiß nicht, was du hörst … es ist alles still …«
Luise drehte den Kopf nach hinten. Auch als Blinde wußte sie, woher der Ton kommen mußte … nun sah sie auf dem Bücherschrank die einfache und doch wirksame Konstruktion. So also ist das, dachte sie erschrocken. Er will mich irr machen. Er will mich so zermürben, daß man mich eines Tages abholt. Der arme Herr Dahlmann, wird es dann heißen. So ein Pech im Leben. Erst die Explosion, dann die blinde Frau, und nun ist sie auch noch irr geworden. Und die Welt würde den Mörder bedauern –
»Da tickt es wieder –«, sagte Luise. Es fiel ihr schwer, die Rolle durchzustehen. »Monika –«, sie wandte den Kopf zu ihrer Schwester und sah sie an. Sie bemerkte das Entsetzen Monis, den flehenden Blick, den sie zu Dahlmann schickte, das Zittern, das über ihr Gesicht lief. Bleich wie ein Leinentuch, mit dunklen Rändern um den Augen, saß sie hinter ihrem Teller und umklammerte das Besteck.
Sie will es nicht, aber sie tut es, dachte Luise fast mitleidig. Sie ist in seinem Bann, sie ist ihm hörig geworden … sie mag sich dagegen stemmen – spätestens in dem Augenblick, in dem sie in seinen Armen liegt, ist aller Vorsatz zerstört, und sie ist bloß noch eine liebende Kreatur.
»Monika … hörst du das Tropfen nicht …?«
Monikas Mund öffnete sich, aber sie brachte keinen Laut heraus. Dahlmann sah sie streng an, fordernd, energisch nickend. Monika atmete tief auf.
»Nein, Luise … ich höre nichts …«, sagte sie rauh.
»Da fällt doch immerzu ein Tropfen –«
»Nein.«
»Die Reise hat dich sicherlich ein wenig überanstrengt.« Dahlmann strich Luise sanft über die Schulter und tätschelte ihre Wange. »Komm, iß, Luiserl … hör nicht auf dieses imaginäre Geräusch …«
Sie aßen. Hinter Luise, auf dem Bücherschrank, tropfte es weiter. Alle zwei Sekunden … klick … klick … Luise legte die Gabel hin und warf den Kopf zurück.
»Es ist nicht zum Aushalten, Ernst! Dieses ewige Tropfen …«
»Aber Luiserl …« Seine Stimme klang besorgt, während sie sah,
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