Eine süße Versuchung für Marcy
sich an Erics Worte, dass er überhaupt nichts über Dylan wusste. „Wenn du sein Vertrauen erwerben willst, solltest du ihm vielleicht alles über dich erzählen.“
„Ich habe die Reset-Taste gedrückt“, sagte er gereizt.
„Was soll das heißen?“
„Ich will die Vergangenheit vergessen. Ich habe beschlossen, noch mal von vorn anzufangen.“
„Ich verstehe nicht … hat du irgendeine Straftat begangen? Jemanden verletzt? So etwas kann man nicht einfach vergessen. Für die Folgen musst du schon geradestehen.“
Drohend baute er sich vor ihr auf. „Das tun nicht mal Erwachsene. Warum sollte ich es machen?“
Er verschwand im Haus. Vermutlich verkriecht er sich jetzt in seinem Zimmer, überlegte sie, obwohl das bis auf den Schlafsack und seine paar Habseligkeiten leer war. Es gab weder einen Fernseher noch einen Computer.
Seufzend trug sie ihren leeren Teller in die Küche.
Dylan stand am Spülbecken und kaute auf einem Keks. Zwei weitere hielt er in der Hand. Sobald sie eintrat, stürmte er an ihr vorbei zur Hintertür. „Ich mache eine Fahrradtour“, murmelte er.
Ihr Blick fiel auf seinen bandagierten Arm. „Sei vorsichtig.“
An der Tür blieb er stehen und sah Marcy herausfordernd an. „Das werde ich bestimmt nicht sein, Marcy. Sondern leichtsinnig.“
„Ich habe …“
„Hör auf, mich zu bemuttern!“ Er verschwand. Am liebsten hätte er die Tür hinter sich zugeknallt, aber sie war ein wenig verzogen und schloss nicht mehr richtig.
Sie sah ihm nach, wie er über die Einfahrt radelte. Er hatte ihr nicht verraten, wohin er fahren wollte. Hoffentlich mutete er sich nicht zu viel zu. Sein Arm war immer noch bandagiert.
Nachdenklich spülte Marcy das Geschirr. Dylan wollte von ihr zwar nicht bemuttert werden, aber vermutlich war es genau das, was er brauchte – und insgeheim wollte. Einen Vater brauchte er vielleicht sogar noch mehr. Zwei Elternteile wären natürlich am besten.
Was ist mit deiner Familie passiert, Dylan?
Marcy nutzte die Stille im Haus, um zu lernen. In diesem Semester hatte sie die Fächer Psychologie und amerikanische Geschichte belegt. Dafür musste sie viel lesen. Heute hatte sie ihre erste Hausaufgabe bekommen, und sie wollte keine Zeit vertrödeln.
Nach einer Stunde war Dylan noch immer nicht zurückgekommen. Sie schaltete den Computer aus, denn Shana und der Handwerker mussten jede Minute eintreffen. Eric würde auch bald zurück sein. Auf dem Weg ins Wohnzimmer klingelte ihr Handy.
„Hallo, Marcy. Hier spricht Julia Swanson. Wie läuft’s denn so?“
„Alles bestens, Julia, danke. Der Job dauert länger, als wir ursprünglich gedacht haben.“
„Ja, Eric hat mir schon davon erzählt.“
„Wenn Sie nächste Woche etwas anderes für mich haben, wäre das auch nicht schlecht.“
„Hm. Ich dachte, Eric hätte Sie weiterhin gern tagsüber in seinem Haus.“
Was? „Hm … darüber hat er mit mir gar nicht gesprochen.“
„Das tut er bestimmt noch. Rufen Sie mich an, wenn Sie sich entschieden haben, damit ich weiß, ob ich Sie wieder in die Vermittlungskartei setzen kann.“
„Da wir gerade miteinander reden, Julia – haben Sie vielleicht Verwendung für einen Achtzehnjährigen? Er kann gut anpacken, aber er hat natürlich noch nicht viel Erfahrung.“
„Sieht er denn anständig aus?“
„Er bräuchte nur einen ordentlichen Haarschnitt …“
„Sie wissen, dass ich immer auf der Suche nach jungen Leuten bin, die auf Partys und Veranstaltungen kellnern. Aber achtzehn ist ziemlich jung. Woher kennen Sie ihn?“
Marcy biss sich auf die Lippe. Die Wahrheit konnte sie ja schlecht erzählen. „Eric hat ihn angestellt, damit er ein bisschen im Haus aushilft.“
„Nun ja, wenn sowohl Sie als auch Eric ihn empfehlen, dann werde ich ihn mir zumindest mal anschauen.“
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich ihn wirklich empfehle, aber vielleicht könnten Sie mal mit ihm reden? Damit er weiß, wie so ein Gespräch überhaupt abläuft.“
„Das werde ich machen.“
Kaum hatte Marcy aufgelegt, hielt ein großer Lieferwagen vor dem Haus. Shana kletterte vom Beifahrersitz. Auf der anderen Seite stieg ein etwa dreißigjähriger Mann in einem Overall aus. Sein Wagen war vollbepackt mit Kartons und Kisten.
„Wir bringen Geschenke“, verkündete Shana. Ihr blondes Haar schimmerte in der Sonne, und sie sah ausgesprochen hübsch aus. Obwohl es ziemlich heiß war, trug sie feste Arbeitsjeans. Sie streifte sich Handschuhe über und wartete, bis Marcy
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