Eine Tiefe Am Himmel
ein anderes Universum als die Unsichtbare Hand, die sie gekannt hatte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und bewegte sich langsam den Gang entlang. Jetzt war vor ihr Musik, mindestens das bumm bumm bumm von Schlagzeug. Jemand sang… scharfe, bellende Schreie im Rhythmus der Schläge.
Als hätten sie ein Eigenleben, verkrampften sich ihre Schultern in dem schmerzhaften Verlangen, sich von der Wand abzustoßen und zurückzurasen, wo sie hergekommen war. Brauche ich noch mehr Beweise? Ja. Nur ein Blick auf das Datensystem mit einem lokalen Prioritätscode zum Überwinden der Sperren. Das würde mehr bedeuten als noch so viele Geschichten über Ritsers Bilder- und Musikgeschmack.
Tür für Tür bewegte sie sich den Korridor entlang. Das waren Wohnungen für Stabsoffiziere, doch auf dem Flug von Triland hatte die Wachmannschaft sie benutzt. Sie hatte drei Jahre lang im zweitletzten Zimmer gewohnt – und sie wollte wirklich nicht wissen, wie es jetzt aussah. Der Planungsraum des Kapitäns lag gleich hinter der Biegung. Sie hielt ihren Schlüssel vor die Luke, und die Tür glitt auf. Drinnen… war kein Planungsraum. Es sah aus wie eine Kreuzung zwischen einer Turnhalle und einem Schlafzimmer. Und wieder waren die Wände mit Bildtapete bedeckt. Qiwi zog sich über ein seltsames, verhülltes Regal und suchte sich eine Stelle außer Sicht der Tür. Sie berührte ihre Datenbrille, bat um eine lokale Prioritätsverbindung zum Netz des Schiffes. Es gab eine Pause, während ihr Aufenthaltsort und die Zugangsrechte geprüft wurden, und dann schaute sie auf Namen und Daten und Bilder. Ja! Ritser betrieb sein eigenes kleines Kälteschlaf-Geschäft direkt hier auf der Unsichtbaren Hand. Luan Peres war verzeichnet… und hier war sie als lebend und auf Wache registriert!
Das reicht; Zeit, aus diesem Irrenhaus wegzukommen. Doch Qiwi zögerte noch einen Moment. Es gab hier so viele Namen, vertraute Namen und Gesichter von früher. Kleine Todeszeichen standen neben jedem Bild. Sie war ein Kind gewesen, als sie all diese Menschen zum letzten Mal gesehen hatte, aber nicht so… diese Gesichter waren auf unterschiedliche Art ausdruckslos, schlafend, mit schrecklichen Wunden oder Verbrennungen. Die Lebenden, die Toten, die Geschlagenen, die heftig Widerstand Leistenden. Das ist aus der Zeit vor Jimmy Diem. Sie wusste, dass es Verhöre gegeben hatte, einen Zeitraum von vielen Kilosekunden zwischen dem Kampf und der Wiederaufnahme der Wachen, aber… Qiwi spürte ein taubes Entsetzen aus der Magengrube aufsteigen. Sie blätterte durch die Namen. Kira Pen Lisolet. Mama. Ein zerschlagenes Gesicht, die Augen starrten sie an. Was hat Ritser dir angetan? Wie konnte Tomas davon nichts wissen? Sie folgte dem Datenlink von diesem Bild eigentlich nicht bewusst, doch plötzlich zeigte ihre Datenbrille ein Eintauch-Video. Der Raum war derselbe, aber angefüllt mit den Bildern und Klängen aus vergangener Zeit. Wie von der anderen Seite des Regals kam ein keuchendes und stöhnendes Geräusch. Qiwi glitt zur Seite, und das Bild passte sich fast perfekt an. Hinter dem Regal stand sie Auge und Auge mit… Tomas Nau. Einem jüngeren Tomas Nau. Außer Sicht, hinter der Kante des Regals, schien er die Hüften vor und zurück zu bewegen. Sein Gesicht zeigte die Art ekstatisches Entzücken, das Qiwi in diesem Gesicht so viele Male gesehen hatte, den Ausdruck, den er hatte, wenn sie endlich allein sein konnten und er in sie kommen konnte. Doch dieser Tomas Nau früherer Jahre hielt ein kleines, rot beflecktes Messer. Er beugte sich vor, außer Sicht, über jemanden, aus dessen Stöhnen ein schrilles Schreien wurde. Qiwi zog sich über den Rand des Regals und schaute hinab auf die wahre Vergangenheit, auf die Frau, die Tomas Nau zerschnitt.
»Mama!« Die Vergangenheit nahm ihren Schrei nicht wahr, Nau machte weiter. Qiwi krümmte sich zusammen, spie Erbrochenes über das Regal und dahinter. Sie sah sie nicht mehr, aber die Geräusche der Vergangenheit erklangen weiter, als kämen sie direkt von der anderen Seite des Regals. Noch während sich ihr Magen leerte, riss sie sich die Datenbrille vom Gesicht, schleuderte sie wild weg. Sie würgte und erstickte fast; zitterndes Entsetzen beherrschte ihre Reflexe.
Das Licht änderte sich, als die Tür des Raumes aufging. Da waren Stimmen. Stimmen der Gegenwart. »Ja, sie ist hier drin, Marli.«
»Brr. Was für eine Schweinerei.« Geräusche der beiden Männer, wie sie den Raum betraten, sich Qiwis Versteck näherten.
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