Eine tödliche Erinnerung (German Edition)
haben und deshalb griff sie zu ihrer einzigen Waffe."
"Man hat bei der Hausdurchsuchung nichts gefunden", wandte ich ein.
"Sie hat erst nach über einer Stunde den Notarzt gerufen, hatte also ausreichend Zeit, ein kleines Fläschchen verschwinden zu lassen."
Widerstrebend musste ich zugeben, das Ruths Ausführungen nicht der Logik entbehrten.
"Ich will mir in der Schuldfrage gar kein Urteil anmaßen", sagte ich, "und ich werde bestimmt auch nicht versuchen zu ermitteln. Schließlich habe ich nicht den Ehrgeiz, die Miss Marple der Psychologie zu werden. Mir reicht es wirklich, Melissas Therapeutin zu sein und nur in dieser Funktion werde ich auch nach Gröbeneck fahren. Ich will herausfinden, ob es dort den Turm und das dunkle Haus wirklich gibt und so meinen Erkenntnissen über die Zuverlässigkeit von Erinnerungen unter Hypnose einen weiteren Mosaikstein hinzufügen."
"In Ordnung", sagte Ruth, "ich wollte dich nur davor warnen, Melissa zu nah an dich heranzulassen und sie dann letztendlich zu enttäuschen."
"Ist dir eigentlich bewusst, dass du diese Warnung jetzt schon zum dritten Mal ausgesprochen hast?"
"Dann sollte dir bewusst sein, dass die dritte Warnung immer die entscheidende ist. Man muss sie ernst nehmen, denn danach erfolgt in der Regel keine weitere."
Ruths Stimme klang überhaupt nicht ironisch, als sie das sagte.
38.
Darauf folgenden Samstag holte mich Tobias mit einem in die Jahre gekommenen Opel ab. Der Lack wies einige Kratzer auf und die Beifahrertür wurde von einer großen Beule verunziert.
"Mach dir keine Sorgen", sagte Tobias, als er meinen skeptischen Blick bemerkte, "technisch ist er top in Ordnung. Ich benötige ihn ja nur vorübergehend, solange ich hier bin, da wollte ich nicht viel Geld ausgeben."
Tobias ging offenbar tatsächlich von einer schnellen Lösung des Falles aus. Jedenfalls fuhr er umsichtig und nicht zu schnell, so dass ich mich entspannen konnte.
"Du hast einen angenehmen Fahrstil", sagte ich anerkennend. "Ich fühle mich als Beifahrer sonst oft unwohl. Als ich mit Melissa nach Gröbeneck gefahren bin, hatten wir einen sehr netten Taxifahrer, aber sein Tempo hat mir richtig Angst gemacht."
"Und Melissa, hatte sie keine Angst?"
"Jedenfalls nicht vor dem Autofahren, das Tempo hat sie nicht weiter gestört."
"Wenn sie als Kind tatsächlich mit in dem Unfallwagen gesessen hat, müsste sie dann nicht entsprechende Ängste zurückbehalten haben?"
"Nein, muss sie nicht. An den Unfall selbst hat sie keine Erinnerung und sie wird sie auch nicht zurück erlangen. Das ist ein normaler Schutzmechanismus. Der Bodygusard von Lady Di kann sich ja auch nicht an den Unfall erinnern. Übrigens auch ein sehr schöner Stoff für Verschwörungstheorien."
Tobias grinste mich von der Seite an. "Damit bin ich dir echt auf den Senkel gegangen, oder? Aber ich bin kein so abgefahrener Spinner wie du vielleicht annimmst. Wenn man in der Sackgasse steckt, muss man völlig neue Denkmuster probieren, auch unkonventionelle. Das machen wir immer so, wenn wir unsere Computerspiele entwickeln."
"Das ist ja auch nicht schlecht und in der Psychologie durchaus bekannt, man nennt das laterales Denken. So lange man sich darin nicht verliert, finde ich es nützlich."
"Super, dann sind wir auf einer Wellenlänge. Give me five!"
Ich berührte seine rechte Handfläche nur flüchtig mit meiner, doch es fühlte sich an als hätte ich in eine Steckdose gefasst. Das Kribbeln hielt die ganze Fahrt über an. Wir hatten einen Plan entwickelt. Tobias würde mich zunächst in Gröbeneck absetzen. Dann würde er in die Kreisstadt fahren, wo er sich bei der Regionalzeitung angemeldet hatte, um im Archiv Einsicht in alte Zeitungsjahrgänge zu nehmen. Wenigstens hier sollte doch etwas über den Unfall der Familie Morgenroth zu finden sein.
"Recherchemethoden wie im Mittelalter", schimpfte Tobias. " Ich werde mich in einen Keller hocken und erst die Spinnen verscheuchen müssen."
Ich würde inzwischen schon einmal Erkundigungen nach dem ominösen Turm einholen und danach auf Melissas besonderen Wunsch das Grab der Familie aufsuchen.
"Das mit dem Friedhofsbesuch ist gar nicht schlecht", meinte Tobias. "In diesem kleinen Ort wissen garantiert eine Menge Leute über das Schicksal der Familie Bescheid. Was wir brauchen ist eine nette Omi, der du hilfsbereit die schwere Gießkanne tragen könntest. Dann findest du bestimmt auch die richtigen Worte, um sie zum Reden zu bewegen. "
Ich ließ mich von ihm im
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