Eine Trillion Euro
Persönlichkeiten, die sich jedes Jahr verabredeten, um sich zu maskieren und Musik zu hören. Jeder Einzelne von uns war ein leidenschaftlicher, unnachgiebiger Mensch und wich militant von jeglicher Norm ab. Ich lebte in Brüssel und war studierte Anthropologin; der Mann aus Toulouse konnte mit Zahlen zaubern; die manierierte, leicht verschrobene Hanke aus Berlin hatte sich der organischen Architektur verschrieben; Thomas aus Kopenhagen war eher als Medizinmann denn als Arzt zu bezeichnen – ein Reisender auf den Flügeln seiner Psychopharmaka und unfreiwilliger Guru. Nasr vom Netzwerk, ein Anglo-Pakistani, rauchte Joints und bezeichnete sich als Computerfreak; Jan aus Amsterdam liebte Musik, war ein Ausnahme-DJ und besaß ein Tonstudio. Last but not least: Niamh aus Cork, eine irre Pilotin voller grundloser Leidenschaften, zerbrechlich und unwiderstehlich …
Wir waren als Treueste unter den Getreuen zusammengewachsen, liebten den Karneval, gaben uns der Maskerade hin und reisten von Fest zu Fest. Im Rhythmus von Kostümierung und Prunkwagen zogen wir um die Welt. Unsere unterschiedlichen Lebensweisen trennten uns, aber unser Traum näherte sich immer weiter an die Wirklichkeit an. Schließlich hat der Stamm Kontakt zu mir aufgenommen. Endlich konnte es losgehen.
Beim ersten der alljährlich wiederkehrenden Events sind wir, wie üblich, nur zu fünft: Nasr und Alexandre sind zu schüchtern für unseren traditionellen Nachmittag im Hammam und werden später zu uns stoßen.
Im Türkischen Bad ist es still. Der Ruheraum scheint nach den heißen Bädern wunderbar kühl. Hanke schläft unruhig, träumt wohl vom Tao und weckt mich damit auf. Mein protestierendes Aufstöhnen wiederum weckt einen sanft lächelnden Thomas. Auf Zehenspitzen begeben wir uns in die Teestube.
Die Konfrontation macht mir ein wenig Angst; manchmal fehlt es mir an Taktgefühl, und Thomas ist schon immer ziemlich empfindlich gewesen.
»Nun, Manon, große Bezirksvorsitzende, sag – wieso dieses Stammestreffen?«
»Ich habe mich schon gefragt, wann du dich endlich danach erkundigen würdest. Ich möchte vom Durcheinander des Karnevals profitieren, um das Projekt Konstitution in die Wege zu leiten.«
Thomas ist blass geworden. »Du spinnst doch!«
»Noch nie im Leben habe ich etwas so ernst gemeint.«
So geht es weiter. Thomas ist außer sich. Der Sturm ist losgebrochen; heute Abend wird es noch schlimmer werden. Dennoch träumt auch er, genau wie ich, von einem großen Stamm aller Menschen. Es ist der große Schritt, den Armstrong gemeint hat, das grandioseste Projekt aller Zeiten, das Ende einer Epoche: die große Vereinigung.
Als der Stamm zum ersten Mal Kontakt zu mir aufnahm, habe ich sofort die anderen angerufen. Wir haben geredet und vor Freude und Hoffnung geweint. Es gab ein unermessliches Netzwerk, das den ganzen Globus umspannte; Männer und Frauen, die nur für das Ziel arbeiteten, den menschlichen Stamm unter Berücksichtigung seiner Unterschiede und Besonderheiten zu vereinigen. Wie hätten wir widerstehen können?
Heute Abend werden wir uns vor dem offiziellen Beginn des Karnevals alle bei mir treffen. Aber Wiedersehen feiern, zusammen essen, unsere Kostüme vorführen und endlos erzählen – das alles wird es dieses Mal nicht geben.
Ich weiß, dass ich mit dem Entschluss, gerade jetzt das Projekt Konstitution zu starten, eine Lawine losgetreten habe. Seit Monaten wird darüber mehr als heftig debattiert. Manche sind dafür. Andere dagegen. Natürlich gibt es auch solche, die keine Entscheidung treffen wollen. Wenn ich Erfolg habe, führt kein Weg mehr zurück. Danach wird es genügen, auf ein Knöpfchen zu drücken, um die Welt zu erobern.
Thomas schmollt noch immer, als wir bei mir zu Hause ankommen. Er hält sich zurück und schweigt. Niemand wagt es, ihn anzusprechen. Alexandre und Nasr warten vor der Haustür auf uns. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Beim Schritt über die Schwelle lächelt Hanke spöttisch; der Augenblick der Wahrheit ist gekommen.
Alle lassen sich vorsichtig nieder und fügen sich zunächst der üblichen Ordnung. Doch binnen kürzester Zeit lassen sie sie außer Acht, um Unabhängigkeit zu demonstrieren und die eigene Wahl von Beginn an klarzustellen. Glücklicherweise ist die Wohnung ziemlich groß.
Das Projekt Konstitution existiert bereits seit Jahren und ist eng mit dem großen Stamm verbunden. Wie viele andere betrachte ich es nur als einen ersten Abschnitt. Es geht um ein weltweit
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