Eine unbeliebte Frau
bemerkte.
»Hey, Ronnie«, sagte sie mit gesenkter Stimme zu dem Rechtsmediziner, »ist das die junge Frau aus dem Taunus? Ihr Ehemann ist hier, um sie zu identifizieren.«
Ronnie nickte Bodenstein und Kerstner grüßend zu, dann schüttelte er den Kopf.
»Nein«, sagte er, »das ist der, weswegen die Pressefritzen den Belagerungszustand ausgerufen haben. Kommt mit.«
Er ging vor ihnen her zu einem anderen Sektionsraum. Dort wartete eine zweite abgedeckte Bahre. Bodenstein warfKerstner einen kurzen Blick zu. Auch in dem hell erleuchteten weiß gefliesten Raum blieb das Gesicht des Mannes ausdruckslos und ohne alle Emotionen. Bodenstein hatte schon häufiger, als ihm lieb war, Angehörige von Toten in diese Räumlichkeiten begleitet, Menschen, die bereits erschüttert vom Tode eines Partners, Freundes oder Verwandten hier noch zusätzlich durch die nüchterne Atmosphäre, die der einer Großküche nicht unähnlich war, schockiert wurden. Die bis unter die Decke reichenden Metallschränke, das unbarmherzige Neonlicht, die gefliesten Wände und abwaschbaren Böden – all das raubte dem Tod und dem Toten die Würde, an die sich die Lebenden so gerne erinnern möchten. Der Mitarbeiter der Rechtsmedizin mit Namen Ronnie entfernte das grüne Laken vom Gesicht der Leiche. Kerstner betrachtete die Tote ein paar Sekunden, ohne auch nur die Andeutung einer Gefühlsregung zu zeigen.
»Das ist sie«, sagte er und wandte sich ab. »Das ist Isabel.«
Bodenstein ließ es sich nicht anmerken, wie eigenartig er die emotionslose Reaktion des Mannes fand. Ronnie zog gleichmütig das Tuch hoch, löste die Feststellbremse der Bahre und schob die Leiche zu einem der Metallschränke hinüber. Kerstner schauderte, als sich die Tür des Schrankes mit einem Klicken öffnete und ein Schwall kalter Luft in den Raum drang, dann folgte er Bodenstein mit schnellen Schritten hinaus auf den Gang.
Eine Dreiviertelstunde später nahm Kerstner auf einem Stuhl vor Bodensteins Schreibtisch in dessen Büro in der Hofheimer Kriminalinspektion Platz, seine Finger umklammerten die Tasse mit Kaffee, die Pia ihm eingeschenkt hatte. Er war einverstanden, dass ein Aufnahmegerät mitlaufen sollte, machte die notwendigen Angaben zu seiner Person und wartete dannmit gesenktem Kopf auf die erste Frage, während Bodenstein erklärende Bemerkungen über die Anwesenden und die Ermittlungssache machte.
»Es tut mir leid, dass wir Ihnen einige Fragen stellen müssen«, wandte Bodenstein sich an den Arzt. »Aber es handelt sich bei dem Tod Ihrer Frau womöglich um Mord.«
»Was ist überhaupt geschehen?«, der Blick von Kerstner wanderte langsam hoch zu Bodensteins Gesicht. »Wie ist sie . gestorben?«
»Sie lag am Fuße des Atzelbergturmes«, erwiderte Bodenstein, »auf den ersten Blick sah es aus, als sei sie vom Turm gesprungen, aber es gibt Indizien, die gegen einen Selbstmord sprechen.«
»Selbstmord?« Kerstner schüttelte den Kopf. »Warum hätte Isabel sich umbringen sollen?«
»Erzählen Sie uns etwas über Ihre Frau«, forderte Pia den Mann auf, »sie war beträchtlich jünger als Sie, nicht wahr?«
Kerstner zögerte eine Weile mit einer Antwort, seine Augen schweiften in die Ferne.
»Neunzehn Jahre. Sie war die Schwester eines meiner besten Freunde«, er trank einen Schluck Kaffee, wobei seine Hand stark zitterte. »Meine damalige Verlobte und ich waren gerade aus Amerika zurückgekehrt, als ich Isabel traf. Das war im Herbst 1998. Drei Monate später haben wir geheiratet, weil Isabel schwanger war.«
Kerstner versank in Erinnerungen, Bodenstein und Pia warteten, bis er weitersprach.
»Alles schien perfekt zu sein, aber kurz nach der Geburt unserer Tochter begannen die Probleme.«
»Welche Probleme?«, fragte Pia nach.
»Isabel wollte so leben, wie sie es gewohnt war«, sagte Kerstner, »große Villa, genug Geld für Urlaub, Pferde, Shopping. Aber ich investierte mein Geld lieber in unsere Zukunft.Inka, ich meine, Frau Dr. Hansen, suchte damals noch einen zweiten Teilhaber für ihre Pferdeklinik, die sie in dem Jahr nach dem Tod ihres Vaters übernommen hatte. Ich bekam den Kontakt zu Inka Hansen durch meinen Freund Georg Rittendorf. Wir wurden uns schnell einig. Dr. Hansen hatte -ähnlich wie ich – in Amerika studiert und gearbeitet, und die Chemie stimmte sofort zwischen uns dreien.«
Bodenstein und Pia schwiegen, warteten geduldig darauf, dass Kerstner weitersprach. Das tat er auch nach einer Weile.
»Wir mussten kostspielige
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