Eine unbeliebte Frau
Mitarbeiter des K11 um sieben Uhr morgens. Nach ein paar relativ ruhigen Wochen hatten sie nun gleich zwei Fälle zu bearbeiten, wobei der Suizid von Oberstaatsanwalt Hardenbach vom Landeskriminalamt übernommen werden sollte. Bodenstein war nicht unglücklich darüber, den Fall Hardenbach, der leicht zu einem Politikum werden konnte, in übergeordneten Kompetenzbereich abgeben zu dürfen. Er hörte zu, wie seine Mitarbeiter die ersten Fragmente des Falles »Isabel« zusammentrugen, die hoffentlich in kurzer Zeit ein komplettes Puzzle ergeben würden. Frank Behnke war als Kriminaloberkommissar nach Bodenstein der Ranghöchste im Team, er war mit seinem Chef vor zwei Jahren von Frankfurt nach Hofheim gewechselt. In Frankfurt geboren und aufgewachsen, bezeichnete er alles, was sich außerhalb der Stadtgrenzen befand, leicht überheblich als tiefstes Hinterland. Kriminalkommissar Kai Ostermann war Ende dreißig. Bei einem SEK-Einsatz vor zehn Jahren hatte er ein Bein verloren und seitdem ein trauriges Schicksal bei der Innenrevision gefristet. Als Bodenstein nach Hofheim gegangen war, hatte er Ostermann angefordert und bekommen, und mittlerweile war der Mann mit seinem Scharfsinn und einem computerähnlichen Gedächtnis aus dem K11 nicht mehr wegzudenken. Der Vierte im Bunde war gleichzeitig der Ältesteim Team: Andreas Hasse war Kriminalkommissar und das schon seit Jahren. Er war Mitte fünfzig, trug das mausbraune Haar mit einem toupetähnlichen Seitenscheitel und hatte eine Vorliebe für braune Anzüge und braune Schuhe mit Gummisohlen. Bei der Umstrukturierung vor zwei Jahren hatte er gehofft, selbst Leiter der neuen Abteilung zu werden, war aber wieder einmal übergangen und nicht befördert worden. Bodenstein argwöhnte, dass Hasse mehr oder weniger hinter dem Schreibtisch auf seine Pensionierung wartete. Die jüngste Mitarbeiterin des K11 war Kriminalassistentin Kathrin Fachinger, eine magere, blasse Frau Mitte zwanzig, die seit dem Winter zu Bodensteins Team gehörte und einen guten Job machte. Bereits gestern Nachmittag hatte Ostermann Nachforschungen über den Polizeicomputer und das Internet angestellt und in Erfahrung gebracht, dass die tote junge Frau aus polizeilicher Sicht kein unbeschriebenes Blatt war. Führerscheinentzug wegen Führen eines Fahrzeuges unter Alkoholeinfluss, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, Fahren ohne Führerschein, Ladendiebstahl, Erregung öffentlichen Ärgernisses – Isabel Kerstner hatte einiges auf dem Kerbholz gehabt. Bodenstein war es gelungen, den zuständigen Staatsanwalt davon zu überzeugen, dass eine Obduktion dringend notwendig war, um die Umstände des Todes der jungen Frau aufklären zu können, und Pia Kirchhoff hatte einen vorläufigen Bericht für den Staatsanwalt verfasst. Aus ihrer Akte wusste Bodenstein, dass sie früher bereits in Frankfurt beim K11 gearbeitet hatte, allerdings nicht in seiner ehemaligen Abteilung. Nach sieben Jahren Berufspause hatte sie zurück in ihren Job gewollt, aber statt nach Frankfurt hatte man sie nach Hofheim gesteckt. Über ihr Privatleben wusste Bodenstein nichts. Wie auch immer, er war froh, sie als Unterstützung für sein Team zu haben.
»Die Obduktion von Isabel Kerstner ist für heute Vormittagum zehn Uhr angesetzt«, verkündete Ostermann gerade. »Gehen Sie selbst hin, Chef?«
»Nein«, Bodenstein schüttelte den Kopf, »ich fahre noch mal in die Pferdeklinik und spreche mit Kerstners Mitarbeitern. Frank, Sie übernehmen das.«
»Muss das sein? Ich war im letzten Jahr schon dreimal bei so was dabei«, protestierte Frank Behnke.
»Wenn es Ihnen recht ist, Chef, gehe ich hin«, sagte Pia nun, und Bodenstein hob die Augenbrauen. Wollte sie sich bei ihm beliebt machen oder Behnke mit ihrem gewiss verlockenden Angebot einen Gefallen tun? Behnke ging so ungern wie jeder andere zu einer Obduktion, aber die Anwesenheit eines Kriminalbeamten und eines Mitarbeiters der Staatsanwaltschaft war bei einer gerichtlichen Leichenöffnung unerfreuliche Vorschrift.
»Kai, Sie versuchen, den Lebenslauf der Toten nachzuvollziehen«, ordnete Bodenstein an. »Eltern, Kindergarten, Schulen, Ausbildung und so weiter. Uns interessiert grundsätzlich alles. Frau Fachinger, Sie und Hasse fahren nach Kelkheim und klappern die Nachbarn ab. So weit alles klar?«
»Und wer fährt in die Rechtsmedizin?«, fragte Behnke.
»Frau Kirchhoff«, entgegnete Bodenstein, ohne aufzublicken. »Sie fragen im Labor nach, wie weit sie dort mit der
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