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Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition)

Titel: Eine unberührte Welt - Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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einmal qualvolle Monate, in denen er unruhig schlief und ständig überlegte, wie die Leute, die er kannte, auf dieVeröffentlichung reagieren würden. Was man ihn fragen würde. Was er antworten konnte.
    Und dann, endlich, war es September, und die »Wilden Blätter« lagen in den Buchhandlungen, und seine Erzählung war sogar auf dem Titelblatt angekündigt, in der dritten Zeile von unten. Er zitterte am ganzen Leib, als er – obwohl er wusste, dass er ein Belegexemplar bekommen sollte (das er dann doch nicht bekam) – ein Heft kaufte, aufschlug, seine Erzählung suchte und fand und las.
    Und weiter geschah nichts. Der September ging, der Oktober dazu, und dann erschien schon die Novemberausgabe, ohne dass irgendjemand von der Erzählung Notiz genommen hatte.
    Jetzt war das Glas etwas, an dem er sich festhalten konnte. Er nahm einen Schluck, einen tiefen Schluck, und war dann selber überrascht über das, was aus ihm herausbrach. »Ich würde gern mehr schreiben, viel mehr. Es ist so viel in mir, dass ich manchmal das Gefühl habe, zu platzen. Ich würde gern … ich würde gern einen Roman veröffentlichen …«
    Er schwieg erschrocken. Das war schon beinahe, ja, Blasphemie. Aber der fremde Gast nickte nur gelassen, als habe er nichts anderes erwartet.
    »Das werden Sie«, sagte er. »Und nicht nur einen.«
    »Glauben Sie?«
    »Ja. Sie werden viele gute Bücher schreiben, die von vielen Menschen gelesen werden.«
    »Wie können Sie das mit einer solchen Sicherheit sagen? Sie kennen mich doch kaum.«
    »Ich kenne Ihre Erzählung. Rings um dieses Hutgeschäft, das Sie beschreiben, bricht mehr oder weniger die ganze Zivilisation zusammen, während der Verkäufer aus dem Fenster lugt und auf Kundschaft wartet. Sie sehen die Zukunft zu düster.«
    »Aber so ist es doch. Schauen Sie sich doch um in der Welt – wir vergiften die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken, den Boden, auf dem wachsen soll, was wir essen. Und es sind sechs Milliarden Menschen, die essen wollen, und nichts – außer einem Atomkriegvielleicht – wird verhindern, dass sich diese Zahl noch verdoppelt. Man nennt es Wirtschaftskrise, aber in Wirklichkeit wird einfach um die letzten Reste Leben gekämpft. Und wir, die wir nichts abbekommen, betrinken uns, nehmen Drogen oder tanzen uns bei hypnotischer Musik zu Tode.«
    »Und das gerade zum Jahr 2000, wie passend.«
    Brück sah seinen Gast irritiert an. »Wie bitte?«
    »Ich habe nur überlegt, was für ein merkwürdiger Zufall es ist, dass das Ende der Menschheit gerade zusammenfallen soll mit dem Ende eines Jahrtausends.«
    Brück musterte den Unbekannten, der da auf seinem abgewetzten Sofa saß und zufrieden lächelte. Diese Wendung des Gesprächs kam ihm reichlich seltsam vor. »Das haben Sie sich aber nicht gerade jetzt ausgedacht.«
    »Nein, zugegeben. Ich arbeite über die Jahrtausendpsychosen der Menschheit.«
    »Jahrtausendpsychosen?«
    »Religiöser Wahn. Exzesse. Hysterie. Gewalttätigkeiten. Endzeitstimmung. Kurz – die Angst, die das kollektive Unbewusste zu allen Zeiten erfasst, wenn ein neues Jahrtausend anbricht.«
    »Hmm«, machte Brück. »Originell. Eine originelle Variante des Versuchs, die Realität nicht sehen zu müssen.«
    Der Fremde sah ihn mit einem unergründlichen Lächeln an und schwieg einen Moment, als müsse er sich die Munition seiner Argumente zurechtlegen. »Wandern Sie doch einmal«, forderte er ihn schließlich auf, »in Gedanken die imaginäre Reihe der Jahre entlang, oder wie immer Sie sich die Zeit vorstellen. Ist es nicht so, dass Sie eine beinahe körperliche Empfindung haben, wenn Sie das Jahr 2000 überschreiten? Eine Art geistige Kerbe, als würde man mit der Zunge über die Zähne tasten und ein Loch erspüren?«
    »Hmm«, machte Brück widerwillig. »Ja.«
    »Und nun frage ich Sie: Warum ist das so, wenn wir doch angeblich nicht an die Magie der Zahlen glauben? Die Antwort ist, dass in unseren endlosen seelischen Tiefen Zahlen etwas Magisches sind, sich anihnen der Willen der Götter offenbart. Deshalb spüren wir Jahrhunderte und Jahrtausende am ganzen Körper.«
    »Das mag ja sein«, meinte Brück. »Aber die Fakten reichen auch ohne Ihre Zahlenmagie für eine handfeste Endzeitstimmung.« Um überhaupt etwas zu tun, beugte er sich vor und schenkte nach. Er betrachtete die Flasche. Der Sekt war eine Marke, die er nicht kannte – was nichts heißen mochte –, und das Etikett wirkte sehr edel und teuer – was auch nichts heißen mochte

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